Haltung, bitte!

Jakob Augstein, Herausgeber und Verleger der Wochenzeitung „Freitag“ über Blattmachen und Community-Pflege, die Zukunft der Zeitung und eigene Web-Profile. (s.a. mediummagazin 1-2010, Seite 36f)

Interview: Annette Milz, Daniel Kastner

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Apple-Fan Jakob Augstein in seinem "Freitag"-Büro in Berlin-Mitte. Schnappschuss: ami

Sie leiten neuerdings das Innovation Lab Print an der Hamburg Media School. Was machen Sie da?
Jakob Augstein: Die HMS wünscht sich, dass ich gemeinsam mit den Studenten darüber nachdenke, wie die Zeitung überleben kann, welche Zukunft das gedruckte Wort auf Papier hat, wie es seine eigenen Stärken nutzen und gleichzeitig von den Vorzügen des Netzes profitieren kann. Das Netz ist ja für die Zeitung nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance – wenn man es richtig macht.

Wie muss eine Zeitung aussehen, damit sie eine Chance hat?
Ich glaube, dass die Zeitung die beste Chance hat, die sich nicht in Konkurrenz zum Internet begibt, sondern die das Internet als Ergänzung betrachtet. Es ist sinnlos den Versuch zu unternehmen, schneller zu sein als das Internet, also das Netz dort zu schlagen, wo es stark ist. Es aber dort zu ergänzen, wo es schwach ist, ist sinnvoll.
Der „Spiegel“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Internet ein Printobjekt eher stärkt als schwächt. Ich weiß auch nicht, ob man online langfristig Geld verdienen kann, aber der „Spiegel“ macht immerhin vor, dass man online kein Geld verlieren muss. Und natürlich haben es Wochenzeitungen leichter als Tageszeitungen, das liegt in der Natur der Sache. Wenn Sie mich nach einem Rezept für die Tageszeitung fragen, muss ich leider passen.

…Warum? Weil Sie keine Zukunft für die Tageszeitungen sehen?
Weil ich einfach keine Antwort darauf habe. Mir fällt nicht ein, wie Tageszeitungen gegen das Internet oder parallel dazu bestehen könnten. Die Funktion einer Tageszeitung ist es, eine tägliche aktuelle Informiertheit zu schaffen. Das kann das Netz besser, weil es einfach schneller ist. Wenn die Tageszeitung nun aber zur täglichen Wochenzeitung wird, überfordert sie mich als Leser, weil ich so viel Lesestoff gar nicht verkrafte. Es gibt ja bereits Wochenzeitungen und Wochenmagazine. Wenn die Tageszeitung versucht, sich zu retten, indem sie mehr und mehr tägliche Hintergrundberichte und Lesestücke bringt, zur täglichen Wochenzeitung wird – ich glaube, dann sprengt sie irgendwann ihre Grenzen.

Gibt es dann in Ihren Augen überhaupt eine Alternative?
Vielleicht müsste man Tageszeitung komplett neu denken. Das wäre mal eine Aufgabe für einen zweiten Jahrgang im Innovation Lab: Wie müsste eine Tageszeitung aussehen, die gegen das Netz bestehen kann? Die „Welt kompakt“ versucht es auf ihre Weise. Trotzdem wäre das kein Produkt, das ich mir kaufen würde. Dagegen ist Boulevard das einzige gedruckte Tagesmedium, bei dem ich verstehe, warum es funktioniert: die emotionale Ansprache, der niedrige Preis, der schnelle Lesekick für unterwegs.

Sie machen ja selbst eine Wochenzeitung. Sehen Sie da weniger Probleme?
Eine Woche ist für das Netz eine höllisch lange Zeit. Für Wochenzeitungen und Wochenmagazine sehe ich deshalb kein Problem – ich spreche jetzt nur über die inhaltlichen Aspekte, unabhängig von der Frage, ob die Anzeigenerlöse zurückkommen. Der Mehrwert der Wochenzeitung ist das Gründliche, Ausgeruhte, das Haptische, das Optische. Wenn Sie eine Wochenzeitung lesen, geben Sie damit auch ein Statement ab für Ruhe und Konzentration. Ich bin ein großer Fan von Schirrmachers Buch „Payback“. Jeder sollte einmal pro Woche für drei, vier Stunden bewusst offline gehen.
Netz und Wochenzeitung kommen sich nicht in die Quere – im Gegenteil: Sie ergänzen sich hervorragend. Dagegen hätte ich große Mühe, mir ein Monatsmagazin in Kombination mit dem Netz vorzustellen. Es sei denn, man macht es wie „Neon“: Wir haben für den Aufbau und den Umgang mit unserer Community viel von „Neon“ gelernt.

Was zum Beispiel?
Neon nutzt das Netz genau dafür, wozu es gut ist: für Kommunikation. Das Prinzip lautet: Wir verdienen unser Geld „offline“ mit Print, und im Netz könnt ihr euch darüber unterhalten. Eigentlich ganz simpel. Dazu ist die „Neon“-Seite technisch, grafisch und konzeptionell extrem gut gemacht. Inzwischen weiß ich ja, wie schwer das ist. Und Neon schafft dabei das Kunststück, das eigene Print-Produkt nicht zu kannibalisieren – die aktuellen Texte sind nicht online.

Wie sieht denn Ihre Bilanz nach einem Jahr „Freitag“ aus: Was hat geklappt, wo sehen Sie Korrekturbedarf?
Was unsere wirtschaftliche Strategie betrifft, haben wir sehr viel dazugelernt – wir wissen jetzt, was nicht geht…

…zum Beispiel?
Den Einzelverkauf am Kiosk zum Beispiel kann sich eine kleine Zeitung wie unsere nicht leisten. Da verlieren wir zu viel Geld. Was aber funktioniert, ist das Abonnement. Wenn wir erst einmal Kontakt zu unserer Zielgruppe hergestellt haben, läuft das Abo sehr gut. Ich glaube, für ein Nischenprodukt wie den „Freitag“ ist das der richtige Weg.

Und inhaltlich?
Inhaltlich sind wir auf dem richtigen Gleis. Wir haben bis etwa August am Print-„Freitag“ herumgeschraubt, ihn modelliert und gewichtet. Seitdem ist der „Freitag“ beinahe so, wie ich ihn mir wünsche.
Im Netz ist die zentrale Neuerung ja die Etablierung und Zusammenarbeit mit der Community. Damit sind wir extrem zufrieden, das hat noch besser funktioniert als wir gedacht hatten. Ich war selbst überrascht davon, was da alles möglich ist.

Welche Möglichkeiten meinen Sie?
Auf unserer Website haben wir akkreditierte Blogger. Wenn uns ein Blogeintrag gut gefällt, macht der „Freitag“ ihn sich zu eigen, das heißt: Wir produzieren ihn auf unserer Website, mit einem Bild, einer Überschrift und einem Teaser. und verlinken von unserer Startseite auf den Blog. Von den 30 bis 40 Blogeinträgen, die jeden Tag geschrieben werden, heben wir auf diese Weise vier oder fünf hervor.

Wie gehen Sie denn mit Debatten und Einträgen auf der „Freitag“-Community um? Inwieweit müssen Sie eingreifen?
Kaum. Unsere Nischengröße ist da sicher ein Vorteil. Wir sind offenbar nicht attraktiv für die Verrückten, die ständig presse- oder persönlichkeitsrechtlich relevante Texte loswerden möchten. Ich glaube, wir mussten seit Februar erst dreimal solche Texte löschen.
Die Tonlage bei Debatten hängt stark mit der Persönlichkeit des Redakteurs zusammen, der den Thread führt. Man braucht eine gewisse Toleranz, weil der Ton im Internet manchmal härter ist als im persönlichen Gespräch. Und wenn ein bestimmter Punkt erreicht ist, richtet das Community Management einen Mäßigungsappell an die User. Das ist aber die Ausnahme.

Wie stark beteiligen Sie selbst daran?
Ich bin selbst sehr aktiv in der Community und ziehe auch sehr viel Unmut auf mich, weil ich nicht in das klassische Bild eines „linken Linken“ passe. Manchmal sind die User enttäuscht, weil sie von mir mehr Linientreue erwarten. Aber diesen Pluralismus brauchen wir. Wir haben harte Debatten, aber die Community merkt auch immer wieder, dass wir sozusagen auf einer Seite stehen.

Wie wichtig ist der Name Augstein für die Vermarktung des „Freitag“?
Ich glaube schon, dass der sehr wichtig ist. So lange wir ein so kleines Projekt sind wie jetzt, brauchen wir eine sichtbare Galionsfigur. Je größer der Laden wird und je breiter wir aufgestellt sind, desto mehr müssen auch andere Personen in den Vordergrund treten. Vor allem in der Community ist das wichtig. Ab einer bestimmten Größe sollte die Community in mehrere Sub-Einheiten zerfallen, die von verschiedenen Leuten repräsentiert werden.

Was können andere von der „Freitag“-Community lernen?
Dass andere von uns wirklich etwas lernen können, glaube ich nicht. Die Community als Tool zur Leserbindung werden vielleicht auch „Zeit“ oder „Spiegel“ einsetzen, aber wohl kaum so zentral wie wir. Der „Freitag“ ist dafür als Modell zu klein – und er ist ein Haltungsmedium. Ohne diese politisch-weltanschauliche Grundhaltung würde unsere Community auch nicht so funktionieren wie sie es tut. Uns eint trotz aller Konflikte immer der gesellschafts- und systemkritische Blick. Das ist sehr wichtig, weil es uns ja um Orientierung geht.

Das würden andere Kollegen auch von sich behaupten – etwa die „Süddeutsche“ oder die FAZ,…
Sind Sie sicher? Ich habe bei vielen Zeitungen das Problem, dass ich nicht weiß, wofür sie eigentlich stehen. Was ist die gesellschaftspolitische, die wirtschaftspolitische, die außenpolitische Grundhaltung dieser Zeitungen? Die FAZ ist da eine Ausnahme. Sie hat sehr wohl eine gesellschaftspolitische Haltung: bürgerlich-konservativ. Für mich als Leser ist es wichtig, dass Zeitungen Haltungen und Standpunkte haben, damit sie für mich kenntlich werden. Wenn das fehlt, kann ich mit einer Zeitung nicht kommunizieren.
Ich lese die FAZ am liebsten – und bin fast immer anderer Meinung. Aber ich schätze sie genau deshalb, weil ich nämlich meinen eigenen Standpunkt daran schärfen und meine eigenen Argumente besser prüfen kann. Aber das ist eine persönliche Einschätzung.

Was halten Sie eigentlich von der „Zeit“?
Ich halte sie für die wahrscheinlich professionellste Zeitung, die ich kenne. Sie ist perfekt gemacht, optisch und auch darin, wie sie ihre Leser abbildet.

…und hat 2009 Auflagen- und Reichweitenrekorde sowie gute wirtschaftliche Ergebnisse erzielt. Wie sieht es denn beim „Freitag“? Haben Sie Ihr gestecktes wirtschaftliche Ziel für 2009 erreicht?
Nein. Wir haben unseren ursprünglichen Wirtschaftsplan vor der Krise erstellt und natürlich um Lichtjahre verfehlt. Schon weil wir so gut wie keine Printanzeigen akquirieren konnten.

Gibt es einen Zeitplan, wann der „Freitag“ wirtschaftlich stabil sein muss?
Na, wir sollten uns die Zeit nehmen, in Ruhe zu wachsen. Wir haben gerade erst die Phase des Suchens und Tastens hinter uns gebracht. Die Kollegen haben hier Großartiges geleistet, um den Relaunch zu stemmen, wir mussten verhindern, dass uns die Abonnenten weglaufen, wir haben die Zeitung sehr stark verändert und über das Internet mit neuen Werten und Images aufgeladen.

Wie soll das also künftig finanziert werden? Was halten Sie von Paid Content?
Es heißt ja, der einzige Content, den die Leute bezahlen, bestehe aus Sex und Finanznachrichten. Und das haben wir nun beides nicht. Ich glaube aber, die Leute zahlen auch für Identität und Partizipation. Deshalb werden wir im kommenden Jahr unserer Community Bezahlmodelle vorschlagen.

Wie sollen die aussehen?
Wir werden Möglichkeiten der Mitgestaltung am Produkt anbieten. Der Nutzer zahlt also nicht dafür, dass er etwas zusätzlich bekommt, sondern dafür, dass er etwas geben kann.

Das wäre die Umkehrung der bisherigen Praxis, dass der Verlag seine Autoren bezahlt…
Ich glaube, man muss hier die Denkkategorien ändern. Es gibt hier ein Missverständnis. Die Nutzer schenken ihre Texte nicht dem Freitag. Sondern sich gegenseitig. Wir stellen ihnen aber dafür die Infrastruktur zur Verfügung und die professionelle, redaktionelle Betreuung. Und das ist etwas wert.

Die Nutzer sollen also dafür zahlen, dass der „Freitag“ ihre Texte publiziert? Warum sollte das attraktiv sein?
Wir sind ja auf dem Weg, im Netz eine Institution zu werden, wir haben eine beträchtliche Zahl an Followern bei Twitter und Facebook, unsere PIs steigen, wir wachsen und etablieren uns als ein journalistisch geprägtes Bloggerportal. Wir entwickeln den Journalismus weiter, indem wir den Community-Journalismus professionalisieren und die Fusion zwischen Bloggern und Journalisten vorantreiben.

Besteht in der Community die Bereitschaft, tatsächlich etwas zu bezahlen?
Ich glaube, diese Bereitschaft besteht bei ganz vielen Leute im Netz, nicht nur bei unseren Nutzern. Die Leute wollen aber wissen: Wie bezahle ich, wie viel und wofür? Es muss einfach sein, die gezahlte Summe darf nicht zu hoch sein – und der Mehrwert muss klar vermittelbar sein.

Wie kann man so einen Mehrwert vermitteln?
Man muss den Leuten begreifbar machen, dass im Netz Werte entstehen können: Beziehungen, Verpflichtungen, Verantwortung. Und nicht zuletzt hat Zeit einen Wert. Wenn ich als Leser und Nutzer dem „Freitag“ meine freie Zeit widme, mein kostbarstes Gut – dann muss der „Freitag“ etwas wert sein. Ich glaube, dass man das Netz mit Werten und Gefühlen aufladen muss – sonst ist es nur Schall und Rauch.

Wie sehen Sie da künftig die Rolle Ihrer Journalisten?
Die Journalisten sind Teil der Community.

Was ist dann noch der Unterschied zwischen klassischen Journalisten und Bloggern?
Eigentlich gibt es keinen. Es kommt nur auf den Text an.
Aber in Wahrheit gibt es natürlich sehr wohl einen grundlegenden Unterschied zwischen Bloggern und Journalisten: Der Journalist in seiner idealtypischen Form ist interessenfrei, der Blogger nicht. Der Journalist muss wie ein Staatsanwalt be- und entlastende Materialien sammeln. Jedenfalls war das früher so.

Edelfeder ist für Sie also keine journalistische Kategorie mehr?
Jeder, der gut schreiben kann, ist eine Edelfeder.

Welches Kriterium taugt dann als Unterscheidungsmerkmal?
Recherche ist sehr wichtig für die Glaubwürdigkeit der Texte. Wenn ich von einem Blogger einen Text bekäme über die letzte Kabinettssitzung, dann finge ich gar nicht erst an, den zu lesen, denn ich wüsste: Da war der nicht dabei.

Aber wenn „Spiegel“-Redakteure, die auch nicht selbst dabei waren, das schreiben, ist es okay?
Ja, natürlich. Weil sie Zugang zu Leuten haben, die dabei waren. Das unterscheidet sie – bislang – von Bloggern. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Verlage und Institutionen erhalten bleiben, denn von denen leihen sich Autoren ihre Glaubwürdigkeit
Das sind aber alles sehr akademische Fragen. Die Blogger schreiben meistens über ihre Innenwelt, danach über ihre unmittelbare Außenwelt und erst in einem dritten Schritt über eine weitere Außenwelt. Und erst in diesem dritten Schritt spielt Faktentreue überhaupt eine Rolle. Blogger beschäftigen sich wenig mit der Außenwelt. Was ich übrigens schade finde.

Haben Sie als Leser irgendeinen Mehrwert von solchen „Innenwelt“-Texten?
Na klar. Viele Texte in „Brigitte“ oder „Neon“ müssen doch auch nicht faktisch überprüfbar sein. Die strengen Kriterien, die in medienkritischen Debatten gerne pauschal an den Journalismus angelegt werden, passen in Wahrheit überhaupt nur für schmale Bereiche des breiten journalistischen Feldes, für politischen und Wirtschaftsjournalismus zum Beispiel.

Welche Rolle sollen dann künftig die klassischen journalistischen, z.B politischen Inhalte im „Freitag“ spielen?
Wir werden im politischen Teil mit neuen Autoren unser Meinungsspektrum weiter öffnen. Damit ändern wir nicht unsere Grundhaltung, aber die Leitplanken können ruhig etwas breiter stehen. Ich hätte gern, dass konservative Menschen den „Freitag“ kaufen, weil die lesen wollen, wie kluge, links denkende Menschen argumentieren. Dass die den „Freitag“ also aus dem gleichen Grund kaufen, aus dem ich die FAZ kaufe.

Wie bezahlen Sie Ihre Autoren – oder müssen die künftig auch Geld mitbringen?
Wir geben unseren Autoren große Freiheit in ihren Texten und eine liebevolle Betreuung. Das ist ein großes Gut und viele Autoren schätzen uns dafür. Weil sie bei uns etwas erhalten, was in anderen Redaktionen inzwischen oft zu kurz kommt: Respekt. Gleichzeitig sind unsere Honorare niedrig. Ich kann es derzeit nicht ändern.