„Handelsblatt“ wird 24-Stunden-Redaktion

Als erste deutsche Online-Redaktion wird handelsblatt.com künftig rund um die Uhr besetzt sein, um 24 Stunden am Tag Unternehmensnachrichten und Börsennews liefern zu können. Das kündigt der designierte „Handelsblatt“-Chefredakteur Gabor Steingart (47) im Exklusiv-Interview mit „medium magazin“ an (Ausgabe 3-2010, Erscheinungstermin 11.3.). „Es wird hart für uns, aber gut für die Leser“, sagte Steingart, „Das neue ‚Handelsblatt‘ schläft nicht mehr. Handelsblatt.com wird bald schon durchgehend geöffnet sein.“
Er arbeite derzeit daran, das organisatorisch zu bewältigen, zusammen mit dem Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt und mit Sven Scheffler, dem Chefredakteur für handelsblatt.com. Die 24-Stunden-Redaktion ist eine der ersten Neuerungen, die der langjährige „Spiegel“-Mann Steingart beim „Handelsblatt“ einführen wird. Seinen neuen Job wird er am Ostermontag, 5. April, antreten.

Steingart deutete an, dass er auch die erste Seite der „Handelsblatt“-Printausgabe ändern will. „Die Seite eins wird von vielen Lesern als problematisch empfunden. Sie wirke häufig wie eine Sonderthemenseite, nicht wie eine Frontpage, haben mir Leser geschrieben“, so Steingart. Insgesamt aber gefalle ihm der von seinem Vorgänger Bernd Ziesemer durchgesetzte Relaunch des „Handelsblatts“ im kleineren Business-Format.

Ob er neue Leute einstellen werde, ließ Steingart vorerst offen: „Es ist zu früh, das zu entscheiden.“
Kategorisch schloss er Redaktionszusammenlegungen nach dem Vorbild der „Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien“ aus, wo „Financial Times Deutschland“, „Capital“ und „Impulse“ von einer Zentralredaktion befüllt werden. Eine Fusion der Redaktionen von „Handelsblatt“ und „Wirtschaftswoche“, die beide bei Holtzbrinck erscheinen, werde es nicht geben, sagte Steingart: „Darauf ruht kein Segen. Mit dem Verleger Dieter von Holtzbrinck habe ich mich über dieses Thema ausgetauscht – in weniger als einer Minute. Wir sind beide Old School, das heißt wir glauben daran, dass jede Redaktion ihre Seele besitzt. Wer Redaktionen zusammenlegt, raubt ihnen die Seele.“

Indirekt forderte er den Verlag Gruner+Jahr auf, die noch immer defizitäre FTD einzustellen: „Die Zeitung ist gut gemacht, aber wurde vom Leser nicht angenommen“, sagte Steingart. Ähnliches sei der „Woche“ von Manfred Bissinger vorher auch passiert. „Das darf man nicht persönlich nehmen. Bissinger ist trotzdem ein großer Journalist. Gruner + Jahr ist dennoch ein gutes Verlagshaus. Bissinger hat seinerzeit die notwendige Konsequenz gezogen.“ Eine Wirtschaftszeitung, die nur mit Hilfe von Quersubventionen überleben könne, sei ein Widerspruch in sich. „Die Redakteure des ‚Playboy‘ müssen sich für Frauen interessieren, die des ‚Kicker‘ für Fußball, und für uns Wirtschaftsjournalisten ist es eine Frage der Ehre, dass wir Gewinne erwirtschaften. Nur das sichert unsere
Unabhängigkeit.“

Gabor Steingart studierte in Marburg und Berlin VWL und Politikwissenschaft, besuchte den ersten Jahrgang der Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalismus in Düsseldorf und begann seine Karriere als Reporter bei der „Wirtschaftswoche“. Mit 28 kam er zum „Spiegel“, erst im Außeneinsatz in Leipzig und Bonn, dann als Ressortleiter Wirtschaft und als Chef des Hauptstadtbüros in Berlin. Nach dem verlorenen Rennen um die Chefredaktion wechselte er als Korrespondent nach Washington.

Oliver Trenkamp