„Ich hatte eine Heidenangst“

Thomas Scheen, seit neun Jahren FAZ-Korrespodent in Schwarzafrika, erhielt  am 2.September in Berlin, den  Theodor-Wolff-Preis 2009 für eine seiner Reportagen aus dem Kongo. Im Gespräch mit „medium magazin“-Autorin Katy Walther berichtet er über seine Arbeit auf dem afrikanischen Kontinent und die schlimmsten Stunden seines Lebens.

Herr Scheen, die Entfernungen in Afrika sind riesig. Wie oft sind Sie im Land unterwegs?
Das schwankt. Ich bin manchmal den ganzen Monat weg und dann wieder einen ganzen Monat hier in Südafrika. Aber so 14 bis 20 Tage pro Monat bin ich im Schnitt schon unterwegs.

Dann schreiben und versenden Sie Ihre Beiträge auch von unterwegs. Welches Equipment haben Sie dabei?
Ich benutze einen Laptop und ein Satellitentelefon, mit dem ich meine Texte überspiele und mit dem ich von gleich welchem Standort aus auch Internetzugang habe.

Haben Sie Einheimische, die Sie bei Ihren Reisen begleiten, für Sie übersetzen oder Sie beschützen?
Man kann sich in Somalia beispielsweise nicht ohne Leibwächter bewegen. Im Moment ist Mogadischu überhaupt nicht mehr zugänglich, aber als es noch halbwegs zugänglich war, hatte ich immer Leibwächter dabei. Meine Fixkosten in Somalia pro Tag lagen bei irgendetwas zwischen 800 und 1000 Dollar. Ganz einfach weil man drei Fahrzeuge mieten muss und bis zu 16 Leibwächter. Das ist aber der absolute Extremfall. Ansonsten bewege ich mich niemals mit Leibwächtern. Ich heuere ab und zu einen Übersetzer an, weil mein Kisuaheli nicht das Beste ist. Das passiert aber auch nicht regelmäßig. Die meiste Zeit bin ich nur mit einem Fahrer unterwegs. Ein Auto, das ich miete, oder ein Taxi am Straßenrand, auf Tagesbasis.

Ist es ein Problem, sich als Weißer in Afrika zu bewegen?
Nein, überhaupt nicht. Das ist sogar ein Vorteil. Speziell in Krisengebieten. Man sagt immer: Die Weißen sind gezählt. Wenn einer verloren geht, gibt’s Ärger. Meine afrikanischen Kollegen können da ganz andere Geschichten erzählen. Die werden nicht durch ihre Hautfarbe geschützt.

Trotzdem wurden Sie im November 2008 bei Recherchen im Kriegsgebiet Ostkongos von Mai-Mai-Milizen verschleppt und vier Tage festgehalten. Hatten Sie Angst um Ihr Leben?
Ich habe relativ viel Erfahrung in Kriegsgebieten, aber bei der Geschichte hatte ich schon Angst. An dem ersten Abend der Geiselnahme habe ich gedacht, dass ich diesmal nicht lebend rauskomme. Das war eine sehr, sehr schlimme Nacht. Tags drauf entspannte sich die Situation aber ein bisschen, die Geiselnehmer wurden zugänglicher. Ich bin dann auch von der Front weggebracht worden, und in dem Moment wurde mir klar, dass es nur noch um Geld geht. Da habe ich mich beruhigt.

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FAZ-Korrespondent Thomas Scheen mit Rebellen der SDLA in Darfur, 2004

Waren es tatsächlich Kindersoldaten, die die Waffe auf Sie gerichtet haben?
Ja, das ist in Kongo und anderen Kriegsgebieten Afrikas Realität.

Gewaltmärsche, Misshandlungen, Scheinhinrichtungen. In einem FAZ-Artikel schildern Sie Ihre Gefangenschaft sehr eindrücklich. Was war für Sie der schlimmste Moment?
Die erste Nacht, als mir ständig Kindersoldaten ein Gewehr an den Kopf hielten und leer abdrückten. Das ist zwei Dutzend Mal passiert und wurde zu einem regelrechten Spiel. Ich hatte eine Heidenangst davor, dass einer von denen vergessen hat, die Patrone aus dem Lauf zu nehmen.

Haben Sie während der vier Tage mal an Flucht gedacht?
Ja, das habe ich. Von einem der improvisierten Gefängnisse aus konnte ich in der Ferne einen Stützpunkt der kongolesischen Armee erkennen. Das war eine Distanz von vier oder fünf Kilometern, die allerdings durch offenes Gelände führte. Bei einem Wettrennen unter diesen Umständen hätte ich aber gegen meine Geiselnehmer keine Chance gehabt. Die waren alle halb so alt wie ich.

Bewegen Sie sich seit Ihrer Verschleppung anders im Land?
Wenn ich einen Fehler begangen hätte, würde ich mich heute anders verhalten. Ich habe aber keinen Fehler gemacht. Ich habe die üblichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Ich habe ausreichend Informationen eingeholt, wie die aktuelle Lage in Kiwanja war. Von daher habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ich habe einfach nur Pech gehabt. Mein Verhalten hat sich seither nicht geändert. Ich bin sogar wieder in Kiwanja gewesen, um meine Geiselnehmer zu suchen.

Was wollten Sie von denen?
Mal ein Wörtchen mit denen reden.

Rein privat oder für eine Geschichte?
Nein, nein. Da war schon einer, mit dem hatte ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Außerdem interessierte mich, unter welchen Umständen ich eigentlich freigelassen worden bin, weil ich das bis heute nicht so genau weiß. Ich weiß nicht, wer da den Druck ausgeübt und wer die letzte Entscheidung getroffen hat. Das wollte ich herausbekommen.

Sie wissen also nicht, inwieweit die Bemühungen des Auswärtigen Amtes den Ausschlag geben haben oder ob Geld gezahlt wurde?
Geld ist keines gezahlt worden, das weiß ich einhundertprozentig. Was mich aber interessiert ist, wer der wirkliche Chef der Mai-Mai-Milizen ist. Ich hatte meine Zweifel, ob Pascal Kasereka wirklich der big shot war. Ich hatte eine andere Vermutung und die wollte ich überprüfen. Ist mir aber leider nicht gelungen.

Sie haben Ihre Entführer also nicht gefunden?
Nein. Ich glaube auch nicht, dass die heute noch leben, aber das ist eine andere Geschichte.

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Thomas Scheen an der Grenze Tschad - Sudan Darfur 2004.

Sie sind jetzt seit neun Jahren für die FAZ in Afrika unterwegs. Gibt es irgendeine Geschichte, die Sie unbedingt noch machen wollen?
Ja, die gibt’s. Es scheitert alleine am zeitlichen Aufwand. Das wäre eine Reise von sechs Wochen. Ich möchte den Kongo-Fluss rauf. Von Kinshasa bis nach Kisangani oben an die Stromschnellen. Da fahren Schubverbände, also große Binnenschiffe, die sich im Laufe der Fahrt in schwimmende Städte und Marktplätze verwandeln. Ich habe das mal an ein paar Stellen gesehen, und würde daher gerne mal mit so einem Schubverband die ganze Strecke fahren. Aber das sind sechs Wochen, und ich weiß nicht, ob mir die FAZ diese Zeit gönnt.

Sie arbeiten in einem Land, wo andere Urlaub machen. Wohin fahren Sie, wenn Sie frei haben?
Ich bleibe in Afrika. Das ist kein Geheimnis. Ich komme nur einmal im Jahr nach Deutschland, zum Korrespondententreffen. Ansonsten bleibe ich hier.

Noch ein letzter Tipp: Was erwartet Journalisten 2010 bei der WM in Südafrika?
Viel Krach. Und eine sehr ausgelassene Stimmung. Was sie sonst noch erwartet ist ein heftiger Winter. Ich glaube, die meisten Leute haben noch nicht realisiert, dass Juni, Juli, August Wintermonate in Südafrika sind und es bitterkalt hier ist. Also ich kann nur jedem raten, eine dicke Jacke und einen dicken Pullover mitzubringen.

Interview: Katy Walther

Thomas Scheen Zur Person: Thomas Scheen, geboren 1965 im belgischen Eupen, unternahm schon mit 19 Jahren Reisen durch Schwarzafrika und arbeitete dort einige Jahre als Fernfahrer. 1990 machte er sein Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg und studierte anschließend Germanistik und Politische Wissenschaften in Aachen. Parallel dazu berichtete er als freier Korrespondent für deutsche Tageszeitungen aus seinem Geburtsland Belgien. Von 1996 bis 2000 war er bei der Kölnischen Rundschau, zunächst als Volontär, spöter als Redakteur. Danach trat er in die politische Nachrichtenredaktion der FAZ ein und wurde Korrespondent für Schwarzafrika mit Sitz in Abidjan. Nach vier Jahren im westafrikanischen Bürgerkriegsland Côte d’Ivoire, zog er Anfang 2005 nach Johannesburg, Südafrika. Im November 2008 wurde Thomas Scheen bei Recherchen im Kriegsgebiet Ostkongos von Mai-Mai-Milizen verschleppt und vier Tage lang festgehalten.

Tipp: Mehr von Thomas Scheen können Sie in unserem Special  „Best of …Theodor Wolff Preis 2009“  lesen in „medium magazin“ 9/09. Darin enthalten sind auch Interviews mit allen diesjährigen Preisträgern: Henning Sußebach, Bastian Obermayer, Regina Köhler und Nina Grunenberg, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird. Außerdem: die Begründungen der Jury sowie die Liste aller Nominierten für die diesjährige Auszeichnung.