Luc Jochimsen (Die Linke) & Nadine Müller (CDU) über Politik und Journalismus

Zwei Frauen, zwei Generationen, ein Beruf: Lukrezia „Luc“ Jochimsen (74) und Nadine Müller (27)  sind beide gelernte Journalistinnen und sitzen im Deutschen Bundestag -allerdings in ganz verschiedenen Lagern: Jochimsen ist Abgeordnete für die „Linke“, Müller  für die CDU, als jüngstes Mitglied ihre Fraktion.

Die gebürtige Saarländerin Müller hat in Heidelberg und Saarbrücken Jura studiert und 2008 mit Diplom abgeschlossen, daneben ein studienbegleitendes Volontariat bei der Konrad Adenauer Stiftung absolviert und war bereits von 2004 bis 2008 Mitglied des saarländischen Landtags. 2009 wurde sie als Direktkandidatin ihres Wahlkreises St.Wendel in den Bundestag gewählt.

Lukrezia (genannt „Luc“) Jochimsen, geboren 1936 in Nürnberg, ist promovierte Soziologin. Als Journalistin arbeitet sie u.a. für Panorama, war ARD-Auslandskorrespondentin in London und von 1994 bis 2001 Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks. Ein Jahr später ließ sie sich als Kandidatin der PDS zur Bundestagswahl aufstellen, die Partei scheiterte jedoch an der 5%-Hürde. 2005 gelang ihr der Einzug in das Bundestag über die Landesliste Thüringen der PDS/Die Linke. Jochimsen geht nun als Kandidatin der „Linken“ in die Wahl zum Bundespräsidenten am 30. Juni.

Ein Gespräch* über Politik und Journalismus zwischen Streit und Konsens.

Interview: Christoph Wöhrle, Fotos: Wolfgang Borrs

Wie haben Sie beide den Seitenwechsel vom Journalismus in die Politik hinbekommen?
Luc Jochimsen: Als ich 2005 in den Bundestag einzog, habe ich mich immer gefragt, ob ich diesen Seitenwechsel gut meistern werde. Heute weiß ich: das politische Arbeiten wird ständig von den Medien gespiegelt. Die permanente mediale Präsenz sorgt für eine Vermischung von Journalismus und Politik. Das betrifft die Themen, aber mehr noch die Menschen.
Nadine Müller: Diese Vermischung und Vernetzung beobachte ich auch. Manchmal setzen die Medien Themen, manchmal ist es die Politik. Aber es ist immer wichtig, wer was sagt. Es passiert, dass man selbst eine Pressemitteilung raushaut, auf die es keine Reaktion gibt, dann sagt jemand anders das Gleiche und schon stürzen sich alle drauf. Ich als Neuling muss mich an dieses Prozedere erst gewöhnen. Ich kenne viele Journalisten von früher und fühle mich dem Beruf verbunden.
Ist diese Nähe zu dem Berufsstand nicht gefährlich?
Jochimsen: Doch, das sehe ich kritisch. Journalisten versuchen die Nähe ja auch auszunutzen. Da rufen sie bei dir an und wollen dir das Zitat entlocken: „Oskar Lafontaine ist ein Tyrann“. Oder sie fragen nach einer angeblichen Affäre zwischen Lafontaine und Sarah Wagenknecht. Sie versuchen dich mit ihren Fragen weichzukochen. Das habe ich früher nicht anders gemacht. Da, wo aber zwischen Journalisten und Politikern Symbiosen entstehen, wird es problematisch.
Müller: Bisher gab es bei mir keine Konfliktfälle dieser Art. In meinem Freundeskreis gibt es nun mal viele Journalisten. Bisher hat aber keiner von ihnen versucht, meine neue Rolle auszunutzen. Teilweise bewirkt so eine Nähe ja auch, dass sich beide Seiten besser verstehen. Im Gespräch mit meinen Parteifreunden verteidige ich oft die Journalisten. Dann heißt es schon mal: „Du hast immer so viel Verständnis.“


Der Beruf steckt Ihnen beiden offenbar noch in den Knochen.

Jochimsen: Ich glaube man hört nie ganz damit auf, Journalistin zu sein. Ganz oft denke ich Sachen wie: Schade, dass ich jetzt dazu keinen Kommentar schreiben kann.

Luc Jochimsen
Luc Jochimsen
Müller: Meine Erfahrung als Journalistin war ja sehr kurz. Aber ich merke ganz oft, dass mich ein Thema anspringt, das in die Zeitung müsste.
Jochimsen: Wichtig ist es, zu begreifen, dass man nicht zu den Medien rennen sollte, um parteiinterne oder parteiübergreifende Konflikte auszutragen.

Schreiben sie auch SMS während Ihrer Sitzungen?
Müller: Ich gebe jedenfalls nicht per SMS irgendwelche heiklen Interna an Journalisten weiter.
Jochimsen: Früher war eine geschlossene Sitzung eine wirklich interne Angelegenheit. Heute fragt man sich immer: Wie haben Journalisten das jetzt wieder rausbekommen? Und wenn man sieht, wie manche da nebenbei am Tippen sind, erübrigt sich die Frage.

Informationen werden oft auch über Hintergrundkreise weitergegeben.
Jochimsen: Da bin ich in keinem drin. Ich finde das nicht gut. Das geht tendenziell auch wieder in Richtung zu große Nähe.
Müller: Die Gefahr ist, dass immer alles raus kommt, was Journalisten nicht wissen sollten. Teilweise lassen sich Informationen aber so gut kontrolliert abgeben. Deshalb würde ich hingehen, wenn ich eingeladen werde. Bisher habe ich noch keinem Journalisten etwas „unter 3“ weitererzählt.

Selektieren Sie die Medien, denen Sie Interviews geben?
Jochimsen: Ich gebe gerne Medien Interviews, die eine andere politische Haltung haben, sagen wir mal der FAZ. Das ist sogar spannender, weil kritischer nachgefragt wird. Noch etwas: Früher war Journalismus gründlicher, aber auch langsamer. Heute geht es immer schnell, schnell.
Müller: Es gab bei mir da mal ein ganz hässliches Ereignis: Nachdem ich ein Interview mit der Jungen Freiheit abgelehnt habe, schrieben die dennoch ein Porträt über mich und klauten ihre Zitate einfach aus einem anderen Interview, das ich dem Standard gegeben hatte. Da hab’ ich mich richtig ausgeliefert gefühlt. Die Junge Freiheit ist für mich die rote Linie, die ich nicht überschreite.

Gerade die kleineren Medien beklagen, dass sie schwer an die Politiker in Berlin rankommen.
Müller: Das kann ich nicht ganz verstehen. Ich fand es total schade, dass sich zu meiner 100-Tage-Bilanz nur große Medien gemeldet haben. Ich hätte gerne auch ein paar aus meinem Wahlkreis dabei gehabt.
Jochimsen: Die Medien in Thüringen interessieren sich kaum für meine Arbeit, sie grenzen mich aus.

Was war Ihre tollste Geschichte, die sie selbst als Journalistin umgesetzt haben?
Jochimsen: Das war ein Bericht bei Panorama über die Sexualmoral des Vatikans zu einer Zeit, als das Thema Doppelmoral noch totgeschwiegen wurde. Ich hatte das Glück einen Priester zu finden, der ausgepackt hat. Es gab unheimlich viel Gegenwind aus der Kirche und aus der konservativen politischen Ecke. Aber mein Chefredakteur stand hinter mir.

Nadine Müller
Nadine Müller
Müller: Bei mir war es ein Fernseh-Beitrag über Junkies und Alkoholiker, die sich am Bonner Bahnhof treffen. Bei der Rhein-Neckar-Zeitung habe ich mal bei einer „Mut-Macher-Beilage“ mitgemacht. Die Reaktionen waren sehr gut. Das war toll, weil es mir gezeigt hat, dass die Menschen auch gern positive Nachrichten lesen wollen. Mich stört die Tendenz, dass im Journalismus immer alles madig gemacht wird.

Welche Medien konsumieren Sie?
Jochimsen: Also ich brauche meine Zeitungen. Ich lese die Bild, die FAZ, die SZ und die Berliner Zeitung. Jeden Morgen.
Müller: Ich schaue eher in die Presseschau und informiere mich zusätzlich online.

Gibt es für Sie Kontakte ins jeweils andere Parteilager?
Jochimsen: Über die Ausschüsse gibt es immer den Kontakt. Nadine Müller kannte ich noch nicht. Aber ich habe keine Berührungsängste. Schlimm ist nur, dass die Anträge von der Linken immer ignoriert werden.

Luc Jochimsen und Nadine Müller
Luc Jochimsen und Nadine Müller
Müller: Was die Linke angeht, sind wir Abgeordneten aus dem Saarland natürlich gebrannte Kinder. Irgendwie ist die Linke ein rotes Tuch, eine freundschaftliche Ebene gibt es bisher kaum.
Jochimsen: Mir sagen Freunde manchmal: Du kannst doch eh nichts bewirken. Mindestlohn, Abschaffung von Hartz IV, Afghanistan – unsere Positionen werden im bürgerlichen Lager niedergemacht. Interessant ist aber, dass die Ideen sich hartnäckig halten; man denke nur an den Mindestlohn.
Müller: Ich habe ein Problem mit den Extrempositionen Ihrer Partei. Raus aus Afghanistan, sofort, wie soll das bitte gehen?
Jochimsen: Zapatero hat es doch mit dem Rückzug aus dem Irak vorgemacht. Militärisch ist das kein Problem.
Müller: Und zurück bleibt dann ein Land im Chaos, ohne Sicherheit, in Schutt und Asche.
Jochimsen: Bisher wurde doch auch nichts dort erreicht. Das Land hat einen korrupten Präsidenten und jetzt sollen sogar noch die Taliban mit einbezogen werden. Das wird nicht funktionieren.

Fühlen Sie sich von den anderen Parteien diskriminiert, Frau Jochimsen?
Jochimsen: Sehr oft. Man wird in seiner parlamentarischen Arbeit behindert. Vor allem aus dem Unionslager.
Müller: Natürlich gibt es heftige Diskussionen, das merke ich im Wirtschaftsausschuss. Teilweise müsste das sachlicher ablaufen. Auch hier wünsche ich mir manchmal mehr konstruktive Zusammenarbeit.

Was halten Sie von der Sitte, dass Politiker stets ihre Zitate autorisieren wollen.
Jochimsen: Ich mache das nicht und finde es auch nicht richtig. Das ist wie eine Art Zensur. Es sollte die Aufgabe des Journalisten sein, welche Zitate er verwendet und welche nicht.
Müller: Das habe ich erst in Berlin so kennen gelernt und mache seither davon Gebrauch. Oft lassen sich so Missverständnisse aufklären. Man spricht manchmal zwei Stunden und davon werden dann zwei Sätze veröffentlicht, da möchte ich dann doch wenigstens korrekt wiedergegeben werden.

Wie finden Sie den regelmäßigen Podcast der Kanzlerin?
Müller: Ich finde das klasse und sie war die erste, die das so in Deutschland gemacht hat. Und das in einer sogenannten konservativen Partei.
Jochimsen: Für so etwas habe ich keine Zeit. Aber ich nutze natürlich meine eigene Homepage auch, um mich und meine Arbeit darzustellen.

Welcher Beruf macht Ihnen denn mehr Spaß?
Müller: Momentan Politik.
Jochimsen: Es ist auf jeden Fall beides gleich viel Arbeit. Als ich in London HR-Korrespondentin war, saß ich abends oft in einem leeren Büro – genau wie heute. Und dann die ganzen Sitzungen. Mein Kollege Lothar Bisky spricht immer von der „versessenen Zeit“.
Müller: Es gibt auch den Spruch über die parlamentarische Arbeit: „50 Prozent sind unnötig, man weiß nur nicht welche.“ Aber auch im Journalismus beackert man ja oft langweilige Themen, weil es halt sein muss.
Jochimsen: Oder man hat nervige Aufgaben. In meinen siebeneinhalb Jahren als Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks waren das vor allem Management-Tätigkeiten, die mich zunehmend auffraßen und mir die Zeit raubten, mir Gedanken um neue Sendekonzepte zu machen oder persönliche Gespräche mit Mitarbeitern zu führen.

Und in welchem Job erreicht man mehr?
Müller: Die Frage nach der Macht. Als einzelne Abgeordnete ist es natürlich schwer, Akzente zu setzen. Aber man kann schon einiges erreichen, wenn man in einer Regierungsfraktion sitzt.

Nadine Müller mit Luc Jochimsen
Nadine Müller mit Luc Jochimsen
Jochimsen: Im besten Fall können Sie einen Krieg beenden. Das schaffen Sie mit Journalismus schwerlich. Oder die Neuregelung der Patientenverfügung, das war ein überfraktioneller Erfolg. Da wird die Arbeit im politischen Steinbruch dann doch manchmal belohnt.

Zum Abschluss: Sieht man Sie manchmal im Café Einstein oder im Borchardt?
Müller: Da war ich bislang nicht. Gilt die Ständige Vertretung auch? Da war ich aber auch nur einmal.
Jochimsen: Mich schon. Im Borchardt treffe ich mich zum Beispiel mit Manfred Bissinger oder Hugo Müller-Vogg. Das Einstein ist sozusagen meine „cantina soziale“, da gehe ich sowohl alleine hin als auch mit Gesprächspartnern. Und der Kaiserschmarrn schmeckt dort ganz vorzüglich.

(*Das Gespräch wurde im Frühjahr 2010 in Berlin für mediummagazin geführt)