• Top 30 bis 30

    Welche Talente den Journalismus von morgen prägen werden

  • Raus aus der Identitätskrise

    Gregor Peter Schmitz übernimmt den "Stern" in unruhigen Zeiten. Schafft er die Wende?

  • Das eigene Medienimperium

    Wie Sie als Medienprofi unabhängig werden

Medium Magazin 03/2022

 

EDITORIAL / Alexander Graf, Chefredakteur

 

 

Schluss mit der Doppelmoral

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Aufruf in eigener Sache. Es ist ein Aufruf zu mehr Transparenz – und zwar von Ihnen als Journalistinnen und Journalisten. Damit meine ich nicht die beliebte Branchenfloskel, dass Medien ihre Arbeit dem Pu­blikum besser erklären müssten. Denn dahinter steckt doch meistens bloß die schöne Vorstellung, man könne sich der ahnungslosen Öffentlichkeit mal wieder als aufrichtige Streiter im Auftrag der Demokratie und Wahrheit präsentieren. Ich meine eine Transparenz, die auch vor unangenehmen Fragen keine Angst hat. Die Auskunft auf berechtigte Fragen gibt und sich nicht hinter Worthülsen versteckt. Die auch Einblicke gewährt, wenn es weh tut. 

Merken Sie was? Genau diese Form der Transparenz erwarten wir in unserer täglichen Arbeit ganz selbstverständlich von unseren Gegenübern. Von Politikerinnen, Firmenbossen und Sportlern. Und wenn diese nicht liefern, sondern blocken, dann nutzen wir das gleich für alarmierte Beschwerden auf Twitter oder im nächsten Beitrag. Die Frage ist also: Warum wenden wir diesen Standard nicht auf uns selbst an? Warum verhalten sich Medienschaffende und die Pressestellen ihrer Häuser oft intransparenter als Rüstungskonzerne oder die Pharmaindustrie? Was haben wir zu verbergen?

Klar, unschöne Machtkämpfe und andere Personalia wird keine Pressestelle gerne kommentieren. Aber häufig geht es nicht einmal um brisante Themen, sondern um Handwerkliches und kritische Fragen zu veröffentlichten Inhalten. Ich gebe Ihnen ein harmloses Beispiel: Ein Kollege mahnte einst in einem vielbeachteten Kommentar den Doppelstandard in der Berichterstattung über Katastrophen an. Während bei Krisen im globalen Süden kaum berichtet würde, dominierten meist Nachrichten aus dem Westen – selbst, wenn diese faktisch viel geringere Ausmaße hätten. Er war damals Auslandskorrespondent in einer dieser vernachlässigten Regionen, heute ist er Redakteur im Auslandsressort. Eine spannende Konstellation – wie fließt seine damalige Kritik in seine heutige Arbeit ein, wo er nun doch über die Auswahl der Nachrichten mitentscheiden kann? Weil mich das Thema interessierte, kontaktierte ich ihn. Vergebens. Der Kommentar stünde doch für sich. Dass aufgrund seiner aktuellen Position aber natürlich neue Fragen dazu aufkommen, müsste jeder Medienprofi eigentlich leicht verstehen können. Nur: Wenn es um kritische Fragen zur eigenen Arbeit geht, vergessen Journalistinnen und Journalisten gerne mal das Handwerk. 

Seien Sie also transparent! Und das sage ich nicht im eigenen Interesse als Medienjournalist, sondern mit Blick auf das Interesse unserer ganzen Branche und ihrer langfristigen Glaubwürdigkeit. Wir können nicht immer nur senden, veröffentlichen, meinen und fordern, uns selbst mit unseren Namen reichweitenstark in die Öffentlichkeit stellen – und dann höflich um Verständnis bitten, dass es dazu nichts mehr zu sagen gäbe. Wir mögen keine öffentlichen Ämter bekleiden und nicht wie Behörden auskunftspflichtig sein. Aber wir nutzen täglich unser Privileg als „Vierte Gewalt“. Zu diesem Privileg gehört auch, dass es keine „Fünfte Gewalt“ gibt. Solange es also nicht justiziabel wird, kontrollieren und hinterfragen ausschließlich wir uns selbst. Und das sowieso schon mehr schlecht als recht. Das Bild vom Presserat als „zahnloser Tiger“ ist genauso ausgelutscht wie wahr, und dem Medienjournalismus geht es nicht besonders gut. Viele kompetente Kolleginnen und Kollegen verlassen die Branche – Nachwuchs gibt es kaum.

Welche Talente Sie auf dem Schirm haben sollten

Das Stichwort Nachwuchs führt mich aber nun glücklicherweise zu einem erfreulicheren Thema: unseren „Top 30 bis 30“. Wieder einmal haben wir aus Hunderten von Nominierungen eine einzigartige Auswahl an vielversprechenden journalistischen Talenten zusammengestellt. Und dennoch werde ich nicht müde zu betonen, dass dieses Format nicht als absolute Bestenliste verstanden werden sollte. Sondern als sorgfältig kuratierter Querschnitt durch die junge Medienlandschaft. Es sind tolle Medienschaffende dabei, die alle auf ihre Art und Weise neue Wege gehen und dafür sorgen werden, dass wir uns um die Zukunft des Journalismus keine Sorgen machen müssen. Und wenn ich mir ihr reflektiertes Auftreten anschaue, dann wächst auch meine Hoffnung auf mehr Transparenz in der Branche. Nur Medienjournalisten sind leider wieder einmal keine dabei. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Entdecken!

 

Die Ausgabe medium magazin 03/2022  mit den spannendsten journalistischen Talenten des Jahres 20202, einem Hintergrund zur Identitätskrise beim „Stern“ sowie ganz viel Nutzwert für die journalistische Berufspraxis ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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