• Nach dem Klickrausch

    Chefredakteurin Bettina Steinke stellt sich der Kritik an Funkes Reichweitenportalen

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    Wenn der Journalismus keine finanzielle Sicherheit bietet

Medium Magazin 05/22

 

EDITORIAL / Alexander Graf, Chefredakteur

 

 

Wenn das Geld trotz Erfolg ausbleibt

Warum niedrige Honorare im Journalismus ein strukturelles Problem sind. Und wieso es dennoch Wege gibt, um als Freiberufler gut zu leben.

In meiner Zeit als freiberuflicher Journalist gab es eigentlich nur eine einzige Sache, die mir regelmäßig Sorgen bereitete. Denn ansonsten mochte ich die Freiheit bei der Themenwahl, die Tiefe, mit der ich sie bearbeiten konnte, und die Vielfalt der Redaktionen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Diese eine Sache, die mir dennoch oft die Stimmung verdarb, hieß Geld. Oder besser: nicht vorhandenes Geld. Denn in dieser ganzen Phase der Selbstständigkeit fiel es mir trotz regelmäßiger renommierter Auftraggeber schwer, einen zufriedenstellenden monatlichen Umsatz zu generieren. Was das heißt? Nun, mein Vergleichswert war in etwa das Nettogehalt eines Tageszeitungsredakteurs, das ich in den Jahren zuvor erhalten hatte. Vermessenheit oder überzogene Ansprüche kann man mir deshalb wohl kaum vorwerfen.   Ich kenne kaum Freiberufler in unserer Branche, denen es anders geht. Es ist und bleibt ein riesiges Problem, dass Honorare für journalistische Texte nur selten für ein Leben in materieller Sicherheit sorgen können. Denn selbst, wenn Magazine einmal niedrige vierstellige Summen für eine große Reportage lockermachen, steht das doch selten in einem gesunden Verhältnis zum redaktionellen Anspruch und dem daraus resultierenden Arbeitsaufwand. Die Folge: Bei den meisten Kolleginnen und Kollegen, die nach der WG-Zimmer- und/oder Kinderlos-Phase noch als freie Journalisten arbeiten, sorgen entweder branchenfremde PR-Aufträge für die nötigen finanziellen Mittel – oder das gute Gehalt von Partnerin oder Partner. Beides muss man wollen. Nichts davon sollte Voraussetzung für die Ausübung unseres Berufs sein. In unserem Dossier „Arm und Reich“ stellt sich unter anderem auch die freie Investigativreporterin Pascale Müller die Frage: „Wenn ich angeblich so erfolgreich bin, wie machen es dann die anderen?“ Denn Müller zählt durchaus zur Spitze in ihrem Bereich: Sie war „Top 30 bis 30“, hat mit ihren Recherchen unter anderen den Nannen Preis und den Otto Brenner Preis gewonnen. Und dennoch streikt ihre Bankkarte immer wieder mal an der Supermarktkasse. Antonia Groß hat Müller in der brandenburgischen Provinz besucht, wohin sie aus Berlin gezogen ist, und gefragt: „Was läuft da falsch?“ (Seite 42). Im Ressort Praxis dieser Ausgabe finden Freie übrigens auch sieben Tipps für „ein gutes Leben“. Beide Texte stehen aus meiner Sicht nicht im Widerspruch zueinander: Denn auch wenn es durchaus Strategien gibt, um Einkommen und Zufriedenheit als Freelancer zu optimieren, kann dies nicht die Lösung, sondern nur eine Hilfestellung in der akuten Situation sein. Das strukturelle Problem prekärer Arbeitsbedingungen in unserer Branche wird jedenfalls nicht durch einzelne erfolgreiche Selbstmanager beseitigt, schreibt unsere Autorin Julia Weinzierler (Seite 64). 

Was Bettina Steinke als Chefredakteurin von „Der Westen“ anders machen möchte

Für unser Titelinterview (Seite 18) habe ich mit Bettina Steinke gesprochen. Die 34-Jährige ist seit Anfang des Jahres Chefredakteurin der sogenannten Funke-Reichweitenportale wie derwesten.de. Von Kollegen aus dem Medienjournalismus wurden diese Angebote schon mit Komplimenten wie „Mistschleuder“ oder „Seuchenportale“ bedacht – und auch ich habe mich in der Vergangenheit mehrmals über irreführende oder geschmacklose Zeilen geärgert. Steinke will jetzt aber vieles anders machen: weg vom Primat der Reichweite, hin zu mehr Sorgfalt bei den Inhalten. Zudem betonte sie mehrmals, man habe die Fehler erkannt und daraus gelernt. Sicher ist: Dafür, dass Funke in der Vergangenheit bei Kritik vor allem hartnäckig mauerte, war Steinke erstaunlich offen – und ließ bei der Autorisierung bis auf einige Ergänzungen alles so stehen wie im Transkript. Machen Sie sich doch nach der Lektüre am besten selbst ein Bild davon, ob Steinke ihren im Gespräch formulierten Anspruch bereits umsetzen kann.  

 
Die Ausgabe medium magazin 05/2022  mit dem Titelinterview mit „Der Westen“-Chefredakteurin Bettina Steinke, dem Dossier „Arm und Reiche“ sowie ganz viel Nutzwert für die journalistische Berufspraxis ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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