„Mehr als Überleben ist nicht drin“

RTL-Reporterin Antonia Rados berichtet seit 20 Jahren aus Krisengebieten. Jüngster Lohn: eine Emmy-Nominierung. Kurz nach dem letzten Telephonat fuhr sie wieder nach Libyen; wenige Tage danach wurde Muammar al-Gaddafi erschossen.

Interview: Katy Walther


Frau Rados, zuletzt berichteten Sie im August aus Libyen. Wann geht es wieder los?

Antonia Rados: Ich fahre übermorgen wieder hin. Ich war beim Sturz Gaddafis dabei, jetzt reizt es mich, in Libyen zu sein, wenn er gefunden wird. Wer weiß, wie lange ich dort sein werde. So begrüßenswert die Umbrüche in der arabischen Welt sind: Darüber zu berichten ist aus Reportersicht oft frustrierend. Syrien ist quasi unzugänglich, das sind fast schon nordkoreanische Verhältnisse.

Wieviele Reportagen konnten Sie nicht machen, weil es zu gefährlich gewesen wäre?

Jede Menge. Einen Teil der Reportagen macht man nicht, weil andere daran gescheitert sind. Bei anderen wird man von den Umständen gezwungen, etwa weil man kein Visum kriegt oder keine Drehgenehmigung. Für meine Reportage über Somalia habe ich zwei Jahre recherchiert, es dauerte, herauszufinden wie ich dort arbeiten könnte. Nach Somalia zu fahren, sich dort zu verstecken und so zu tun, als wäre alles sehr gefährlich, reicht ja nicht. Aber das Wort „aufgeben“ kenne ich nicht.

Letztlich ist es unmöglich, die Kriegsrealität widerzuspiegeln. Warum versuchen Sie es trotzdem immer wieder?

Menschen machen unmögliche Sachen. Ein Arzt weiß ja auch, dass er nicht jeden Patienten retten kann und versucht es trotzdem. Kriegsreporter wissen aus Erfahrung: Opfer in Kriegsgebieten sind oft froh, dass man auftaucht. Zusätzlich kann die Informationspflicht nicht enden in dem Moment, wo ein Krieg beginnt, heißt Gewalt beginnt. Es gibt die Notwendigkeit, über Krieg zu berichten, weil die Kriegsberichterstattung den Krieg zwar nicht beenden kann, aber zumindest die Folgen des Krieges und das Grauen darstellt.

Mit der Reportage über Somalia waren Sie gerade für den Emmy nominiert, gewonnen hat ein anderer; im März schauten alle auf Sie, weil Sie ein Interview mit Muammar al Gaddafi führten. Tangiert Sie diese Aufmerksamkeit?

Zunächst: Es gibt größere Tragödien im Leben, als einen Preis nicht zu bekommen. Und es gehört zur Tugend eines Reporters, eine Geschichte abzuhaken, sobald sie fertig ist, die Nachwehen zu ignorieren. Es war übrigens überraschend leicht, das Gespräch mit Gaddafi zu bekommen.

Sie müssen oft unvorhersehbar los. Haben Sie für solche Fälle immer eine gepackte Tasche unterm Bett?

Nein, denn ich brauche nicht viel und so eine Tasche ist schnell gepackt. Ich bin aber, und das ist viel wichtiger als die Tasche, innerlich immer bereit wegzufahren.

Was ist drin?

Zwei, drei Sachen zum Wechseln. Wenn ich es schaffe, nehme ich ein Buch zum Lesen mit, weil Kriegsreportagen immer von ganz leeren Stunden begleitet sind, in denen man nichts tun kann, auf Flughäfen oder irgendwo festsitzt. Was heute für jeden Kriegsreporter das Wichtigste ist, sind Kommunikationsmittel, ob das jetzt Satellitentelefone sind, Handys, ob das Computer sind, mit denen man via Skype kommunizieren kann. Kommunikation ist das A und O.

Wer von Ihrem Team begleitet Sie in der Regel und welche Unterstützung besorgen Sie sich vor Ort?

Das ist unterschiedlich. Es gibt verschiedene Varianten: Wenn es nicht anders geht, fahre ich alleine weg und nehme Kameraleute und Personal vor Ort. Lieber fahre ich mit einem Kollegen, meinem Kameramann, dem ich vertraue und den ich kenne. Zuweilen fährt  noch ein Producer mit, das heißt eine Art Mädchen oder Boy für alles, der Leitungen organisiert, Hotels findet  usw., damit der Journalist den Kopf frei hat für Journalismus. Vor Ort kontaktieren wir zusätzlich  einen Übersetzer; auch Fixer, Producer oder Stringer genannt. Je nach Erfahrung kennt jeder von uns  in den verschiedensten Ländern solche Leute, mit denen man seit Jahren zusammenarbeitet.

Können Sie selber drehen und schneiden?

Halb Schneiden, halb drehen, ich bin das unperfekte Mädchen für alles. Aber alles irgendwie zu können, lernt man in entlegenen Gebieten, wo einem oft keiner helfen kann als man sich selbst.

Sie sind in Ihren Reportagen immer wieder auch selbst zu sehen. Wieso ist das für Ihre Erzählweise wichtig?

Es gibt viele Autoren, die nicht im Bild erscheinen, obwohl das in den USA oder in Großbritannien durchaus die Regel ist, auch bei angesehenen Anstalten wie der BBC: In Kriegsgebieten gibt es Reporter, die im Hotel sitzenbleiben und ihre Kameraleute rausschicken oder ihre Assistenten. Oft auch freie Mitarbeiter. Auch das ist ihr gutes Recht. Wenn sie Angst haben, soll sie niemand zu Heldentaten zwingen. Da sie aber nicht vor Ort ist, sondern im Hotel sitzen, können sie logischerweise auch unmöglich im Bild auftauchen. Man kann sich natürlich fragen, ob es moralisch nicht  fragwürdig ist, das Leben anderer zu riskieren und das eigene, nur weil man der Boss ist, mehr zu schützen. Mir ist das Leben meines Teams genauso wichtig wie mein eigenes.

Im Nahen Osten können sich Frauen oft nicht ohne Kopftuch zeigen. Wie verändert Sie diese Art der Verschleierung?

Man muss unterscheiden: In gewissen Ländern muss eine Frau Kopftuch tragen, in an- deren kann man es tragen. In einigen brenzligen Situationen wiederum setzt man es freiwillig auf, um sich selbst zu schützen, um unauffälliger zu sein, im wahrsten Sinne des Wortes „unterzutauchen“. Ich persönlich trage das Kopftuch nicht gerne, aber ich fahre nicht auf Reportage, um irgendwelche Sachen gerne zu tun oder nicht, sondern um zu berichten. Und wenn es der Berichterstattung dient, mache ich da Konzessionen, ob- wohl ich mich oft wortreich dagegen wehre.

Haben Sie auch schon mal Burka getragen?

Ja, in Afghanistan. Vor vielen Jahren. Um illegal über die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan zu kommen.

Sie sagen, im Krieg agieren Reporterinnen wie Männer. Gibt es also keinen weiblichen Blick?

So eine Frage würde man einem Arzt auch nie stellen: Operiert eine weibliche Chirurgin anders als ihr männlicher Kollege? Eine gewisse Professionalität macht alle gleich. Doch Krieg ist, mehr als Operieren, eine Testosteron-Angelegenheit. Debatten darüber, wie Krieg geführt wird und warum, haben bei männlichen Kollegen oft etwas Mechanisches an sich. Ich könnte auch sagen, der Krieg fasziniert einige über alle Maßen. Männliche Kollegen identifizieren sich relativ schnell mit Militärs oder einer der Kriegsparteien. Ich habe schon Reporter gesehen, die in trauter Gemeinsamkeit mit Soldaten Waffen ausprobieren. So etwas würde eine Frau nie machen. Diese Nähe zur militärischen Ebene wie sie manche Männer haben, hat eine Frau einfach nicht. Das bedeutet auch, dass Kriegsreporterinnen viel mehr lernen müssen, weil sie ja in der Sandkiste nie Schlachten geführt haben.

Hätte also auch ein Mann Reportagen wie „Frauen in Angst“ machen können?

Ob sie gemacht werden können, weiß ich nicht, aber sie werden nicht gemacht. Vielleicht fallen die Themen Männern auch einfach nicht ein. Das „Mitleiden“ für den Zustand der Frauen ist bei einer Frau einfach größer als bei einem Mann. Es stimmt, ich kann leichter in die Welt der Frauen eindringen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das ein Mann nicht genauso machen könnte. Mein sachliches Argument für die- se Art von Reportagen ist: Obwohl man es gerne vergisst, machen Frauen in den meisten Ländern 50 Prozent der Bevölkerung aus. Warum soll man nicht über die Hälfte der Menschheit berichten?

Welchen Rat würden Sie jungen Journalisten geben, die Ihren Job machen wollen?

Es gibt keine geborenen Kriegsreporter. Und wenn jemand eines Morgens aufwacht und entscheidet, ich werde jetzt Kriegsreporter, wird er es sicher nicht. Die Vorbereitung ist nicht anders wie für jede andere Sparte des Journalismus: Lernen und Leiden. Auf meinen Reportagen treffe ich abseits vom Mainstream oft junge Reporter, die sich regelrecht durchbeißen. Die ein Jahr lang ohne viel Geld in Afghanistan leben, in Wohngemeinschaften und nicht in Hotels, die neugierig sind, lernen wollen. Und mit Rucksäcken herumfahren, was ich schon aufgrund meiner Rückenschmerzen leider nicht mehr kann.

Ihre Arbeit ist stets von einer Gefahrenrealität geprägt, ob Selbstmordkommandos oder Gefechte. Haben Sie ein Testament?

Nein. Auf diese Idee bin ich noch nicht gekommen. Außerdem wäre das Testament- Machen vor einer Reportage von einem gewissen dunklen Pessimismus geprägt. Aber Triumph ist in Kriegsgebieten ohnehin keine Option. Mehr als Überleben ist nicht drin.

Foto © RTL


ZUR PERSON:

ANTONIA RADOS, geboren 1953, berichtet seit fast 20 Jahren als Auslandskorrespondentin für RTL; 2008 wechselte sie kurz zum ZDF. Für ihre Arbeit wurde sie bereits mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet.

Ihr Blog: newsblog.rtl.de/Antonia-Rados
Die Somalia-Reportage: http://bit.ly/dvJGJ2

 

Das Interview erschien als Teil der „Journalistin 2011“ in Heft 10-11/2011.