Raus aus Facebook – aber wie?

Facebook produziert Skandale am laufenden Band. Trotzdem scheuen Journalisten und Verlage den radikalen Bruch, weil sie ungern auf die Vorteile verzichten. Langsam muss man das Problem aber angehen, meint Matthias Eberl – und fordert einen Mittelweg.

Im Jahr 2007 berichtete das IT-Portal Heise, dass das „Online-Sozialnetz Facebook“ dem Protest von 50.000 Nutzern nachgegeben habe. Das Unternehmen hatte nämlich begonnen, die Einkäufe von Nutzern auch außerhalb des Portals zu tracken und dann dessen Freunden diese Einkäufe ungefragt mitzuteilen. Facebooks Verhalten in diesem sogenannten Beacon-Skandal unterscheidet sich nicht von heute: Lügen, Täuschen und selbst nach Millionenstrafe in ähnlicher Weise weitermachen. Allein 2018 wurden wieder sechs große Verfahren gegen Facebook eröffnet. Um kurz zusammenzufassen, was wir da seit über zehn Jahren wöchentlich erfahren: Facebook fördert Ungleichheit, gefährdet das freie Netz, umgeht Steuern, hat ein Monopol, ist unsozial, intransparent, bewusst irreführend und verstößt gegen Gesetze, insbesondere natürlich beim Datenschutz. Wer hier kein System erkennt und den Entschuldigungen von Marc Zuckerberg Glauben schenkt, ist naiv.

Neben dem gesellschaftlichen Schaden ist Facebook auch für den Journalismus ein Problem. Auf manchen Medienveranstaltungen traut man seinen Ohren nicht, wenn von Facebook als Innovationspartner gesprochen wird. Der Konzern ist das Paradebeispiel für einen Disruptor, der sich nicht um gesellschaftliche Regeln schert. Und doch muss man staunend zusehen, wie große Verlage ihre Nutzer ohne jede vertragliche Garantie auf die Plattform des Unternehmens lotsen, wo sie dann nur noch unter den ständig wechselnden Bedingungen angesprochen und bespielt werden können. Werbebudgets werden großzügig an das Unternehmen überwiesen und gleichzeitig alle Artikelabrufe der Leser und Leserinnen zur personenbezogenen Speicherung an Facebook abgetreten.Warum lassen wir das zu? Alle außer Facebook sind in dieser Konstellation die Verlierer.

Journalismus unterliegt einem besonderen Anspruch

Dabei würde man doch von der Presse einen besonderen ethischen Anspruch erwarten. Tatsächlich sind wir deshalb als einzelne Journalisten aber auch als gesamtes Mediensystem mit Sonderrechten privilegiert. Dazu kommt ein ethischer Anspruch, den sowohl der selbst auferlegte Presserat, wie auch das Selbstverständnis als Vierte Gewalt widerspiegelt. Die Leserinnen und Leser bemerken schon seit längerem diese Diskrepanz: Regelmäßig kann man beobachten, dass kritische Artikel zu Facebook online mit Häme und Enttäuschung über die Doppelmoral kommentiert werden. Hier wird vom Journalismus längst eine andere Haltung erwartet.

Aber auch die einzelnen Journalisten müssen sich den Vorwurf gefallen lassen: Sind die persönlichen Vorteile, z.B. die Nutzung von Whatsapp oder die Selbstvermarktung auf Facebook oder Instagram wirklich den gesellschaftlichen Schaden wert, den der Konzern weltweit verursacht?

Gegenargumente

Es gibt allerdings zwei gute Argumente, warum Journalismus sich nicht plötzlich aus dem wichtigsten Social-Media-Imperium zurückziehen kann. Am schwierigsten ist eine Einschätzung der ökonomischen Folgen: Da stehen auf der einen Seite bequeme Dienste, kurzfristige Einnahmen, Werbemöglichkeiten und Reichweiten, und auf der anderen Seite eine Markenbeschädigung und langfristig ein schwer einzuschätzender Monopolist, der sich im eigenen Medienmarkt umtreibt. Man mag die negativen Folgen eines radikalen Boykotts überschätzen – aber wenn das eigene wirtschaftliche Überleben gefährdet ist, wollen nur wenige diesen Schritt ausprobieren.

Bloß raus hier. Dann ausschalten. Oder? (Foto: pexels/Negative Space)

Ein zweites Argument, das vor allem auch von den Öffentlich-Rechtlichen vorgebracht wird, ist die Informationspflicht. Journalismus muss dort hingehen, wo das Publikum sich aufhält – insbesondere natürlich, wenn die Zielgruppe nur dort zu erreichen ist, weil sie sonst gar keinen aktiven Nachrichtenkonsum betreibt. Ausdrücklich sieht der Rundfunkstaatsvertrag vor, dass der öffentlich-rechtlichen Rundfunk „allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe an der Informationsgesellschaft ermöglicht“. Dazu können nach richterlichen Urteil ausdrücklich auch externe Social-Media-Plattformen zählen. Diese Pflicht kann man durchaus auch allen anderen journalistischen Akteuren zugestehen.

Der Kompromiss

Was ist zu tun? Als erstes sollten Journalisten dieses Dilemma, in dem sie sich mit Facebook befinden, transparent gegenüber der Öffentlichkeit machen. Es muss klar werden, dass die naive Förderung von Facebook ein Fehler war. Man sollte diese Debatte insbesondere mit der eigenen Community führen, die sich oft in der gleichen Zwangslage befindet: Auch viele Rezipienten finden Facebook schlecht, aber wagen aus Angst vor Social-Media-Isolation den Ausstieg nicht. Diese Form der Transparenz und der gemeinsamen Debatte ist schließlich der positive Kern von Social-Media.

Der zweite Schritt ist vielleicht am wichtigsten: Bestehende, unproblematische Plattformen mit seinem Angebot fördern und festigen und Facebook-Nutzer gezielt auf diese Plattformen hinweisen. Journalisten prägen die öffentliche Meinung in besonderem Maße. Eine Entscheidung, welchen Dienst zum Beispiel ein bundesweiter Fernsehsender unterstützt, hat eine enorme Bedeutung für die Reputation des Dienstes. Noch besser wäre natürlich ein Gesamtkonzept, wie man so einen Dienst neben Facebook gezielt stärkt und Nutzer dahin umsiedelt. Für die einen könnten vergleichsweise wenig kritisierte Unternehmen wie Twitter oder Snapchat schon eine gute Lösung sein, für andere bieten offene Plattformen wie Mastodon und das Fediverse die korrektere Alternative. Auch RSS sollte neu belebt werden (mehr zu diesen Alternativen in den Linktipps unten). Natürlich werden diese Alternativen Facebook in der Reichweite niemals einholen. Es geht hier eher darum, ganz altmodisch gesellschaftliche Verantwortung und Vorbildfunktion zu demonstrieren. Das gilt ganz genauso natürlich für die Messenger-Nutzung des einzelnen Journalisten bzw. der einzelnen Journalistin: Wer mindestens unter einer Alternative wie Threema oder Signal erreichbar ist, fördert den Wandel und grenzt nicht mehr diejenigen aus, die aus guten Gründen alle Facebook-Dienste deinstalliert haben.

Dann muss aber auch die größere Debatte beginnen, wie der Journalismus sich dauerhaft aus dieser Zwangslage befreien kann. Auch Googles Engagement auf dem Mediensektor muss transparent hinterfragt werden und dessen Monopolisierung zum strategischen Thema werden. Wie soll Social-Media in der demokratischen Gesellschaft der Zukunft aussehen? ARD-Chef Ulrich Wilhelm hat kürzlich gefordert, ein europäisches und offenes Youtube mit Elementen von Facebook aufzubauen. Das ist eine großartige Idee, die in Form von Mastodon und Peertube sogar schon existiert. Gegen die veranschlagten 50 Millionen Euro hätten die Entwickler dieser Dienste sicher nichts – aber mehr als das bräuchten sie und die Millionen Nutzer dort die Unterstützung der Medien selbst, zur Not auch nur mit einer improvisierten und symbolischen Präsenz, wie es die taz bei der Facebook-Alternative Diaspora vorlebt.

 

Weiterlesen:
Heise: Beacon-Skandal
Matthias Eberl:„Diskretion war einmal: Wie Unternehmen, darunter auch Zeit Online, rechtswidrig Kundendaten an Facebook geben“
Matthias Eberl: „Die wichtigsten Alternativen zu den Facebook-Diensten“
Handelsblatt: „ARD-Chef fordert europäische Social-Media-Plattform“
Die taz auf dem alternativen Netzwerk Diaspora 

 

Der Autor: Matthias Eberl arbeitet als freier Multimedia-Journalist in München. Website / Twitter / Mastodon


Der Beitrag von Matthias Eberl erschien in der Zukunftsausgabe „medium magazin“ 06/2018. Weitere Themen darin u.a.: der große Generationendialog „Was hat Zukunft“, „Journalismus der Dinge“, Change-Anforderungen an Journalisten, die Debatte um die Nationalitätennennung von Tätern in Berichten, Blockchain-Modelle für Medien, Wolf Schneiders neue Sprachkritik, Special Umwelt & Nachhaltigkeit mit dem Schwerpunkt „Nature Writing“ sowie eine 16-seitige Werkstatt „Erfolgreich gründen“.
Das Heft ist digital (per Sofortdownload) und gedruckt im Shop sowie digital im iKiosk verfügbar.