Pressekonferenz mit dem Mörder

In den vergangenen Jahren haben Gerichte die Grenzen einer zulässigen Gerichtsberichterstattung immer enger gezogen. Der BGH sortiert die Karten nun wieder neu. Was die Entscheidung für Medienschaffende bedeutet.

Text: Gero Himmelsbach

In ihrem „Online Lexikon Presserecht“ schreibt die Initiative Tageszeitung: „Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens gehört zu den grundlegenden Errungenschaften des Rechtsstaates.“ Hier beginnen aber schon die rechtlichen Unterschiede: Die gesetzlich garantierte Öffentlichkeit meint ausschließlich die „Saalöffentlichkeit“ und nicht die „Medienöffentlichkeit“. Nicht alles, was im Gerichtssaal gesprochen und verhandelt wird, dürfen Medien millionenfach auf Titelseiten drucken. Immer geht es auch um eine Abwägung des öffentlichen Interesses mit dem Schutz der betroffenen Person.

Das beginnt schon bei der Frage, ob die angeklagte Person identifizierbar genannt werden darf: Voller Name und ungepixeltes Bild? Oder nur der Vorname mit abgekürztem Nachnamen und ohne Bild? Häufig hängt es von der Mediengattung ab, wie die Berichterstattung ausfällt. Klar ist nur: Es gibt weder einen grundsätzlichen Vorrang des Informationsinteresses noch des Persönlichkeitsrechts. Als Grundregel gilt: Je bekannter die angeklagte Person und je schwerwiegender die Tat ist, umso eher ist eine identifizierende Berichterstattung erlaubt. 

So klar war das in den vergangenen Jahren nicht mehr – jedenfalls in Köln und in Berlin. Diese Gerichte waren der Auffassung, eine Gerichtsberichterstattung müsse auch sämtliche Kriterien einer zulässigen Verdachtsberichterstattung erfüllen. Dazu gehört: Die betroffene Person muss vor einer Berichterstattung die Möglichkeit einer Stellungnahme erhalten. In der Praxis ist das jedoch kaum vorstellbar: Müssten angeklagte Personen dann nach jeder Verhandlungseinheit eine Pressekonferenz abhalten? Und müsste in jedem einzelnen Artikel über ein langwieriges Strafverfahren auch noch der oder die Angeklagte zu Wort kommen? 

Gero Himmelsbach ist Rechtsanwalt in München und lehrt an der Universität Bamberg Medienrecht. Er ist Mitherausgeber des Buchs„Presserecht“ (Verlag C. H. Beck).

Gerichtsberichterstattung ist mehr als nur ein Blick auf die „dunkle Seite“. Sie ist in einer Demokratie unverzichtbar und entspricht laut Bundesverfassungsgericht dem „im Rechtsstaat- und Demokratieprinzip enthaltenen objektiv-rechtlichen Auftrag zur Sicherung der Möglichkeit der Wahrnehmung und ggf. Kontrolle von Gerichtsverfahren durch die Öffentlichkeit“. Die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal hat damit, kurz gesagt, Verfassungsrang.

Auch deshalb hat der BGH nun allen Versuchen, Gerichtsberichte durch eine vermeintliche Anhörungspflicht zu torpedieren, eine Absage erteilt. Natürlich müssen Medien sorgfältig abwägen, ob sie über ein Gerichtsverfahren berichten und ob sie die betroffene Person erkennbar machen. Eine Straftat jedenfalls gehört grundsätzlich zum Zeitgeschehen, über das berichtet werden darf. Im etwas sperrigen Juristendeutsch des BGH heißt das: „Wer den Rechtsfrieden bricht, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird.“ Ausnahme: Es geht lediglich um die Befriedigung der Neugier des Publikums. Aber auch hier sind die Grenzen weit gezogen: In dem vor mehr als zehn Jahren gegen einen früheren Wettermoderator geführten Verfahren ging es vielfach auch um sexuelle Praktiken. Soweit diese Themen in der Hauptverhandlung waren, durften die Medien auch darüber berichten. 

Der BGH stellt nun fest: Voraussetzung ist, dass sich die Berichterstattung tatsächlich ausschließlich auf den Inhalt der Verhandlung konzentriert. Der BGH sieht sogar eine Gefahr darin, wenn eine Stellungnahme der angeklagten Person eingeholt werden müsste. Dann nämlich müsste sich das Gericht nicht nur auf die Einlassungen der angeklagten Person in der mündlichen Verhandlung konzentrieren, sondern diese auch mit Äußerungen gegenüber den Medien abgleichen. Wer jedoch zusätzlich recherchiert und den Beitrag mit weiteren Informationen garniert, muss sich selbstverständlich an die Kriterien einer Verdachtsberichterstattung halten. 

Meine Meinung: Das Urteil des BGH ist erfreulich klar und dringend notwendig. Es stellt die Freiheit der Gerichtsberichterstattung wieder her. Das ändert nichts daran, dass die Berichterstattenden auch künftig mit Augenmaß aus dem Gerichtssaal berichten. Denn eine einseitige Berichterstattung, die die angeklagte Person schon vor der Verurteilung in jahrelange Haft schreibt, wäre auch nicht zulässig.


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