Redigieren – aber wie?

Ein „Geo“-Autor zog vor Gericht, weil er mit dem veröffentlichten Text nicht einverstanden war und er bekam recht  (Das Urteil hier als pdf zum download). Sieben leitende Redakteure und Freie sagen, was sie davon halten.

Die Fragen:

1.) Wie finden Sie das  Urteil zugunsten des Autors?

2.) Wie halten Sie es  selbst in ihrem Arbeitsalltag – beim Redigieren oder Redigiertwerden?

Umfrage: Anne Haeming

Christian Thiele
Christian Thiele

Christian Thiele, „Playboy“-Textchef

1.„Viele Texte werden durch das Redigieren besser. Es ist gut, wenn die Autoren sich das hinter die Ohren schreiben. Manche Texte werden durch das Redigieren schlechter. Es ist gut, wenn die Redakteure/Textchefs sich das hinter die Ohren schreiben. Daran ändert das Urteil nichts. Und auch nichts daran, dass Redaktionen von freien Autoren immer abhängiger werden – und sie gleichzeitig immer schlechter bezahlen.“

2.  „Ehrlich gesagt, habe ich früher redigiert, wo es ging. Heute redigiere ich, wo ich muss. Die Kriterien, um das eine vom anderen zu unterscheiden – total subjektiv. Aber ich glaube/hoffe, sie immer am Beispiel begründen zu können. Die Debatte darüber, wo beim Er- und Überarbeiten von Texten Handwerkliches aufhört und wo Stilistisches anfängt, wird sich nie entscheiden lassen. Führen muss man sie.“

Silke Burmester, freie Medienjournalistin

Silke Burmester. Foto: Eva Häberle
Silke Burmester. Foto: Eva Häberle

1. “Ich würde mich natürlich freuen, wenn das Urteil Bestand hat. Die Redaktionen gehen immer mehr dazu über, unsere Texte als Rohmasse zu begreifen, die sie zur freien Gestaltung verwenden. Dass das nicht in Ordnung ist, macht das Urteil deutlich. Nun sind natürlich nicht alle Eingriffe in Texte dermaßen radikal. Im besten Fall wird Redigieren wieder mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander.”
2. „Ich versuche, einen ‚letzen Blick’ auf meinen Text mit der Redaktion zu vereinbaren. Aus meiner Arbeit als freie Textchefin weiß ich aber auch, was da mitunter bei den Redakteuren ankommt: schlicht schlechte Qualität. Davon, daraus einen tollen Text zu basteln, der unter dem Namen des beauftragten Autors veröffentlicht wird, halte ich allerdings nicht viel. Es ist Betrug am Leser und an allen, die der Person weiter Aufträge erteilen.”

Christoph Amend. Foto: J.Gern
Christoph Amend. Foto: J.Gern

Christoph Amend,
Chefredakeur „Zeit Magazin“

1. „Bei dem konkreten Fall kenne ich die internen Vorgänge zu wenig, um wirklich beurteilen zu können, was da schief gelaufen ist. Generell lässt sich sagen, dass jeder Text durch gutes Redigieren gewinnt. Was ist gutes Redigieren? Erst genaues Lesen der Geschichte, dann die Fragen, die sich dabei ergeben, mit dem Autor der Geschichte besprechen, gemeinsam eine nächste Fassung erstellen, und so Schritt für Schritt den Text besser machen, damit hoffentlich am Ende keine wesentlichen Fragen offen bleiben. Dabei gilt für beide Seiten, dass man einander vertraut: Der Redigierer sollte den Stil des Autors kennen und respektieren und der Autor die Arbeitsweise des Redigierers.”

2. „Unser Alltag sieht so aus: Die Redigierer reden recht intensiv mit den Autoren, wobei das sicher jeder Autor anders empfindet. Bei uns gibt es mehrere Redigaturstufen, angefangen beim betreuenden Redakteur einer Geschichte über den Textchef bis zur Redaktionsleitung. Wer auch immer aus unserer Redaktion einen Text redigiert, erklärt dem Autor selbstverständlich, warum er was verändert haben möchte und darüber wird
dann diskutiert. Das größte Konfliktpotenzial: zuwenig Kommunikation, zu hoher Zeitdruck. Dem versuchen wir entgegenzuwirken, indem wir uns möglichst viel Zeit für die Betreuung nehmen und die Autoren deshalb auch um frühe Abgabe der Texte bitten. Das gilt natürlich für etablierte Autoren genauso wie für weniger erfahrene Kollegen. Für das „Zeit Magazin“ kann ich sagen, dass alle Kollegen in der Redaktion gleichermaßen Autoren wie Betreuer sind, das fördert das Verständnis für die jeweils andere Rolle.”

Philipp Maußhardt, freier Autor, pädagogischer Leiter der Zeitenspiegel-Reportageschule

Philipp Maußhardt. Foto: Zeitenspiegel

1. „Wenn sich Juristen mit echten Lebensfragen beschäftigen, kommt häufig nicht viel Sinnvolles dabei heraus. Ich glaube, die Angelegenheit hätte man besser unter sich ausgemacht, zu was gibt es so schöne Schimpfwörter wie Grasdackel, Haarspalter, Wichtigtuer oder Saftsack. Auch eine Mineralwasser-Attacke in der Gruner & Jahr-Kantine zur voll besetzten Mittagszeit wäre mir angemessener erschienen als ein Gang zu Gericht.“

2. „Mich betrifft das Urteil gleich zweifach. Als Autor beruhigt es mich, weil endlich jemand – und sei es nur der Richter beim Landgericht Hamburg – meine schreiberische Leistung als etwas Außergewöhnliches, Einmaliges und Unverletzliches begreift. Als Redigierer an einer Journalistenschule beunruhigt es mich, weil schon heute viele der jungen Kollegen glauben, sie hätten keinen Artikel geschrieben sondern ein Kunstwerk vollbracht.“

Thomas Friemel
Thomas Friemel

Thomas Friemel,
Chefredakteur „enorm“

1. „Es geht nicht um den Ausgang des Prozesses, sondern um den Prozess selbst. Herr Jungblut hat mit seiner Klage die tagtägliche Arbeitsweise der meisten Redaktionen hinterfragt, dafür gebührt ihm Anerkennung. Ich hoffe, dass das Urteil dazu führt, dass man sich in den Redaktionsstuben trotz Stress und Zeitnot in Zukunft gemeinsam mit den Autoren verstärkt und auf Augenhöhe über die Texte austauscht und daran arbeitet.“
2. „Muss ein Text stark redigiert werden, liegt der Fehler schon im Briefing. Geht ein Text trotzdem in die Hose, besprechen wir mit den Autoren, wer wie und wo genau Hand anlegen soll. Redigiert die Redaktion, wird der Text noch einmal an den Autoren zurückgespielt. Übrigens legen wir sehr viel Wert auf die Vielfalt der Tonalitäten im Heft, wir halten nichts von der Politik der einheitlichen Sprache.“

Kai Schächtele, Vorsitzender des „Freischreiber“-Verbands

Kai_Schaechtele. Foto: L.Petersen

1.„Ich finde das Urteil aus mehreren Gründen gut. Erstens, weil ein Autor den Mut hatte, gegen unzumutbare Eingriffe in seinen Text vorzugehen, obwohl er wissen musste, dass damit sein Geschäftsverhältnis zu dieser Redaktion enden würde, und in erster Instanz Recht bekam. Zweitens, weil es eine Diskussion darüber ausgelöst hat, wie weit eine Redaktion bei der Bearbeitung eines Textes gehen darf. Und drittens, weil es an der sensibelsten Stelle in der Zusammenarbeit zwischen Freien und Redaktionen für ein Stück Transparenz gesorgt hat. Christian Jungblut ist mit seinem Ärger ja kein Einzelfall. Man kann nur hoffen, dass sich dieses Urteil insofern auf die Zusammenarbeit auswirkt, als dadurch beide Seiten, Autoren wie Redaktionen, für einen professionellen Umgang miteinander sensibilisiert wurden.”

2. „Ich erlebe in meiner Arbeit beide Seiten. Das größte Problem ist, dass die eine jeweils zu wenig die andere im Blick hat. Redakteure haben oft ein genaues Bild im Kopf, wie Sprache und Inhalt eines Stückes aussehen sollen, und redigieren diesem Bild hinterher. Freie Journalisten lassen sich andererseits oft nur unter Schmerzen auf Veränderungen an ihren Texten ein. Sie verkennen, dass in der Zusammenarbeit mit einer Redaktion Texte auch besser werden können. Weiß das Gegenüber allerdings partout immer alles besser, gilt die Regel: Der Klügere gibt auf und stellt die Zusammenarbeit ein.”

Anne Zielke. Foto: M. Rheinländer
Anne Zielke. Foto: M. Rheinländer

Anne Zielke, freie Journalistin

1. „Das Urteil stärkt die Rechte des Autors, und das ist gut so. Wie wir alle wissen, sind diese von den Verlagen beträchtlich ausgehöhlt worden. So auch: Einmal zahlen, x-mal abdrucken. Ich glaube zwar nicht, dass das Urteil im Redaktionsalltag große Auswirkungen hat, aber es setzt ein Signal: Verlage haben Texte gewissermaßen nur zur Miete, nicht als Eigentum. So sollten sie sie auch behandeln – übrigens auch in finanzieller Hinsicht.“

2. „Eine Redigierregel heißt ‚kill your darlings’ – da braucht man natürlich einen, der skrupellos streicht. Ich habe bei meistens gute Erfahrungen gemacht: als Freie und auch als Redakteurin. Nur bei Zeitmangel wird es schwierig. Dass aber eine Reportage zur Unkenntlichkeit verändert wird: unverständlich. Denn wenn ein Autor beauftragt wird, entscheidet sich die Redaktion immer auch bewusst für einen bestimmten Stil.“

TIPP: Siehe auch der Beitrag von Anne Haeming zu dem Thema und den Hintergründen  in mediummagazin 12-2010