Schlimmer Fehlgriff der „Welt am Sonntag“

Das Foto zum Beitrag „Die Unsterblichkeit des Amoktäters“ von „WamS“-Chefredakteur  Thomas Schmid stellte einen unbeteiligten Jungen als vermeintlichen Mörder dar. 

Die Fakten:

Das Foto zeigt am 15.3. direkt neben der Headline „Die Unsterblichkeit des Amoktäters“ den Kopf eines etwa 16jährigen Jungen in Großaufnahme. Die Headline und der in das Foto gestellte Vorspann mit dem Worlaut: „Tim K. wusste wohl, dass er schon Stunden nach seiner Tat auf immer in die Hall of Fame des Verbrechens eingehen  würde. Mit seiner Tat hat er die große Erzählung vom Amok weitergesponnen. Dass er das konnte, ist auch eine Folge von medialer Demokratisierung“  suggiert, es handele sich bei dem gezeigten Jungen um den Attentäter von winnenden. 

Da das Portrait aber allenfalls eine entfernte Ähnlichkeit mit bis dahin veröffentlichten Fotos von Tim K. zeigte und ein erklärender Bildhinweis fehlte, sind wir der Herkunft des Fotos nachgegangen. Bei unseren Recherchen fanden wir am Montag, 16.3., heraus:

Der in der WamS genannte Bildcredit „dpa“ ist falsch. Das Originalfoto stammt von ddp und entstand am 12. März, am Tag nach den tödlichen Schüssen, während eines Gedenkgottesdienstes vor der Schlosskirche in Winnenden. Das Originalbild ist Teil einer Serie, die u.a.trauernde Jugendliche zeigt, und trägt in der ddp-Bilddatenbank folgenden Hinweis: 

„Trauernde verfolgen am Donnerstag (12.03.09) vor der Schlosskirche in Winnenden die Videouebertragung eines Gedenkgottesdienstes fuer die Opfer des Amoklaufes in der Albertville-Realschule. Der 17-jaehrige ehemalige Schueler Tim K. veruebte am Mittwochvormittag (11.03.09) einen Amoklauf in der Albertville-Realschule. Er toetete an der Realschule und in einem Autohaus in Wendlingen insgesamt 15 Menschen und erschoss sich danach selbst. (zu ddp-Text) Foto: Sascha Schuermann/ ddp“.

Wir haben Thomas Schmid als verantwortlichen Autor des Beitrags und als Chefredakteur der Welt am Sonntag bereits am 16.3. per eMail zu einer Stellungnahme aufgefordert, wie es zu diesem schlimmen Fehlgriff kommen konnte. Eine Antwort ist nicht erfolgt.

Auf den schlimmen Fehlgriff ebenso wie auf den äußerst streitbaren Inhalt des Beitrags haben wir 16.3. auch via Twitter hingewiesen.  Das hatte eine Reihe von Kommentaren zur Folge wie zum Beispiel von Stefan Niggemeier, der sich detailliert dem Beitrag und seiner Illustration widmete.

Diese Kritik teilen wir  – ebenso die Kritik vieler Kommentatoren u.a. auch bei welt.de.  

Wir alle wissen, dass handwerkliche Fehler in der Hektik eines Redaktionsschlusses passieren können. Schlimm genug. Doch dieser Fehler in der WamS ist unentschuldbar. Denn gerade im Kontext der Diskussion um die Nachahmungsgefahr und Gefährdung von Jugendlichen ist eine besondere Sorgfaltspflicht von sogenannten Qualitätsmedien geboten. Das aber war bei der Welt am Sonntag offenkundig nicht der Fall. Noch dazu steht dieser Fehlgriff im krassen Widerspruch zur Kernthese des Beitrags „Dass Tim K. heute eine populäre, in der ganzen Welt bekannte Gestalt ist, ist auch eine Folge von user generated content“: Wenn es redaktionelle Absicht war, den Beitrag mit dem Kopf des Attentäters zu illustrieren, hätte das mehr zum „Bekanntheitsgrad“ des Amoktäters beigetragen als eine Vielzahl von no-name-Blogs. Der Fehlgriff der WamS stellt nun sogar einen unbeteiligten Jungen in den Amok-Kontext und schafft so ein weiteres Opfer:  Herr Schmid, wie konnte es dazu kommen? 

Annette Milz, Chefredakteurin mediummagazin