Sonderpreis 2014 – Teil 2: die Laudatio

„Zeit“-Autorin Carolin Emcke laudatiert den Gewinnern des zweiten Sonderpreises – dem Team der Rassistische-Hassmail-Lesung Hate Poetry:

Jörg Wagner hat die Laudatio und die Dankesrede als Podcast aufgezeichnet.

Carolin Emcke

Selten habe ich mich so gefreut über eine Auszeichnung für andere wie heute. Es ist diese diebische Freude, die man empfindet bei einem besonders guten Streich, wenn etwas gegen alle Erwartungen gelungen ist, wenn alle althergebrachten Konventionen, alle naheliegenden Reflexe, alle Schwerkraft der Macht einfach durchkreuzt und überschritten wurden: YES!

Hate Poetry, das ist eine so intelligente wie kreative Form des Widerstands gegen Ressentiment und Rassismus, des humorvollen Aufbegehrens gegen nicht nachlassenden Hass und Verachtung – und es ist vor allem auch eine Befreiung, die an die alte Tradition des Re-Signifizierens anknüpft, die schon so viel Bürgerrechtsbewegungen ausgezeichnet hat.

Was daran so bemerkenswert ist, sind für mich drei Momente der Dissidenz:

  • Das Austreten aus der Einsamkeit: jeder und jede von Euch, der diese Hass-Mail erhielt, war damit zunächst einmal allein. Die Briefe sind adressiert, sie richten sich an Euch, jeden Einzelnen individuell und zugleich an Euch als Angehörige einer wie auch immer falsch verstandenen Minderheit, sie wollen beleidigen und verletzten, beschmutzen und versehren. Und, zunächst einmal, tun sie das auch. Niemand kann sich im ersten Moment der Wirkung von diesem Hass entziehen. Sie isolieren jeden Empfänger und jede Empfängerin, die in Redaktionen nicht nur schrecklich seltene Ausnahmen sind, sondern die auch noch Titelgeschichten wie „Mecca Deutschland“ und Pegida-verstehende Leitartikel aushalten müssen.
Das Team von Hate Poetry mit Gründerin Ebru Tasdemir an der Spitze.

Diese Isolation abzulehnen, sich miteinander zu verständigen, sich in immer wechselnden Kombinationen zu vereinen und dem Hass GEMEINSAM zu begegnen – das ist eine wunderbare Form der dissidenten Solidarität, die allein schon auszeichnungswürdig wäre.

  • Das Öffentlich Machen: Die Angriffe nicht zu schlucken. Die Beleidigungen nicht zu verdrängen, sie nicht wegzulegen als irre, widerliche, ekelhafte Rassisten, sondern sie öffentlich zu machen, die Kränkung wieder und wieder vorzulesen, solange bis sie sich gegen sich selbst und ihren Autoren wendet – das verlangt nicht nur Mut, sondern auch Kraft (eine, die ich, wenn ich ehrlich bin, nicht hätte). Es liegt darin übrigens auch ungehörige Großzügigkeit, nämlich der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich ebenfalls damit auseinander zu setzen.
  • Aus diesem Hass, aus diesem Dreck keine Anklage, sondern ein Fest zu machen, eine Party, eine Performance, in der aller Witz, alle spielerische Aneignung und Verfremdung der angeblich so stabilen Identität eines Muslims, einer Türkin, eines Gastarbeiter-Kindes gefeiert wird – das ist wirklich ein Happening, ein Acting Out, eine politische Farce erster Güte.

„Anger is a bitter lock“, hat die Dichterin Anne Carson mal geschrieben: „But you can turn it“. Das führt Ihr uns vor und darin seid Ihr Vorbild.

Große Freude bei den Mitgliedern von Hate Poetry

Es wird viel gelacht beim Hate Poetry – auch wenn mir selbst nie zum lachen zumute war. Zu finster verbinden sich in diesen Leserbriefen alte und neue Ressentiments, Klassen-Dünkel und Sexismus verknüpfen sich gespenstisch mit Islamophobie. Vielleicht könnten irgendwann auch andere Formen der Ablehnung gemeinsam geslamt werden, damit auch die nächste Isolation überwunden wird.Aber bis dahin verneige ich mich vor Eurem Mut, Eurer Heiterkeit, Eurer unendlichen Begabung zur Vernunft und einem aufklärerischen Format, das hoffentlich ansteckend wirkt.

Herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung!

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