Streitfall Online

Gabor Steingart (Handelsblatt)  und Wolfgang Blau (zeit Online) im „medium magazin“-Titelgespräch 12-2010 über Klarnamen, Kooperationen und Konkurrenz der Öffentlich-Rechtlichen im Netz:

Gabor Steingart (l.) führt Wolfgang Blau im mediummagazin-Gespräch die geplanten "Handelsblatt"-Apps vor. Foto: ami
Gabor Steingart (l.) führt Wolfgang Blau im mediummagazin-Gespräch die geplanten "Handelsblatt"-Apps vor. Foto: ami

Sind Sie für Klarnamen in Kommentaren?

Wolfgang Blau: Wir hatten ursprünglich vor, Klarnamen einzuführen. Das hat sich aber in Diskussionen mit Usern als nicht sinnvoll herausgestellt. Klarnamen bringen nicht den erhofften Qualitätszuwachs, eine Tatsache, die sich auf Facebook eindrücklich beobachten lässt. Zum anderen können beispielsweise die Bankangestellten, die Freiberufler, Lehrer oder die Ärzte unter unseren Lesern ganz erhebliche Probleme bekommen, wenn sie ihre politischen Kommentare bei uns unter Klarnamen veröffentlichen. Wir mussten einsehen, dass wir als Redakteure andere Freiräume haben als viele unserer User. Und dann gibt es noch ein taktisches Argument: Viele unserer Leserdebatten finden während der Büroarbeitszeiten statt. Nicht wenige unserer User würden durch die Verwendung von Klarnamen Schwierigkeiten mit ihren Arbeitgebern bekommen.

Gabor Steingart: Das ist ein Argument. Bei den Debatten, die ich als Korrespondent in Amerika verfolgen durfte, zum Beispiel über Guantanamo oder die Gesundheitsreform, habe ich es andererseits sehr zu schätzen gewusst, dass es dort keine Anonymität gab. Jeder hat sich mit vollem Namen zu Wort gemeldet. Diese Klarheit würde ich mir auch hierzulande wünschen. Auch im Netz.

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Herr Steingart, nun fordern Sie wie Springer-Chef Matthias Döpfner eine „combined audience“ aus Printverkäufen und Klicks statt wie bisher getrennter Zählung. Warum?

Gabor Steingart: Döpfner hat Recht. Schauen Sie doch mal in die Musikbranche: Wer welchen Eingang zu einem Konzert benutzt, ob jemand Sitz- oder Stehplatz wählt, ist doch den Musikern egal. Für die zählt allein, dass die Halle voll ist. Unsere Hallen sind prall gefüllt, mit deutlich mehr Leuten als früher – wenn wir zusammenrechnen, wie viele zu einer gedruckten Ausgabe greifen und die Marke im Netz anklicken. Wir Journalisten erreichen so viele Menschen wie niemals zuvor. Das geht bei dem ständigen Gejammer um die Medienkrise völlig unter. Das Selbstbewusstsein in unserer Branche ist deshalb völlig zu Unrecht angeknackst.

Gabor Steingart, Chefredakteur des "Handelsblatt". Foto: Goetz Schleser
Gabor Steingart, Chefredakteur des "Handelsblatt". Foto: Goetz Schleser

Ihnen geht es nur um unser Selbstbewusstsein?

Gabor Steingart: Nicht nur, sondern natürlich auch um den wirtschaftlichen Erfolg. Nochmals zur Musikindustrie: Die zählt Plattenverkäufe im Laden mit den bezahlten Downloads auf Portalen wie iTunes zusammen – alles andere wäre ja auch unlogisch. Die Goldene Schallplatte ist längst keine Auszeichnung für verkaufte Platten mehr. 85 Prozent aller Käufer einer Single benutzen den Download im Apple-Store oder auf anderen Plattformen. Dort finden wir es normal, in der eigenen Industrie aber tun wir uns schwer mit der multimedialen Reichweitenmessung. Warum?

Wolfgang Blau: Ich fand‘ den Ansatz des „combined audience“ früher auch attraktiv. Solche Zahlen geben einem ein wohliges Gefühl. Inzwischen bin ich aber skeptisch

Warum? Wo sehen Sie Alternativen?

Wolfgang Blau: Wenn mir die Printprodukte einiger Verlagshäuser inzwischen schon im Bankomaten-Vorraum meiner Bank geschenkt werden, hege ich Zweifel an deren Leserzahlen. Diese Zahlen jetzt auch noch mit zum Teil per Suchmaschinen-Marketing gestützten Online-Reichweiten in einen Topf zu werfen, klingt zwar irgendwie modern, mir ist nur nicht klar, welchen Nutzen die Werbewirtschaft davon haben soll. Grundsätzlich finde ich es aber schon richtig, über neue Messgrößen nachzudenken. Wir sollten zum Beispiel die Verweildauer stärker gewichten und wir wissen noch erstaunlich wenig darüber, wie sich hochwertige redaktionelle Umfelder auf die Rezeption von Online-Werbung auswirken. Die Print-Vermarkter sind uns da Jahrzehnte voraus und haben sehr genaue Daten darüber, wie gut sich etwa eine Leserin an eine Auto-Anzeige erinnert, die sie in einer gedruckten Ausgabe von „Spiegel“, „Stern“ oder „Zeit“ gesehen hat. Als Redakteur würde ich mir wünschen, dass unsere Branchenverbände mehr Ressourcen in die Online-Werbewirkungsforschung investieren würden und vielleicht etwas weniger in ihre Schaukämpfe mit Google oder den Öffentlich-Rechtlichen.

„Zeit Online“ kooperiert dagegen mit ZDF und DRadio Wissen. Was hat Sie dazu veranlasst?

Wolfgang Blau: Inhalte, die andere mit großem Abstand besser produzieren können als wir – zum Beispiel internationale Fernsehnachrichten – machen wir nicht selbst.

Und das entgegen der Verleger-Kampfansagen?

Wolfgang Blau, Chefredakteur "zeit online". Foto: Goetz Schleser
Wolfgang Blau, Chefredakteur "zeit online". Foto: Goetz Schleser

Wolfgang Blau: Die Kampagne der Verlegerverbände gegen die Öffentlich-Rechtlichen wirkt auf mich emotional getrieben. Die finanzielle Situation der privatwirtschaftlichen Nachrichten-Webseiten wäre doch keinen Deut besser, wenn es die öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Sites nicht gäbe. Auch harte Paywall-Strategien nach dem Vorbild der britischen „Times“ würden in Deutschland selbst ohne die Existenz öffentlich-rechtlicher Nachrichten-Sites scheitern. Und natürlich betrachte ich als Redakteur von „Zeit Online“ jede andere große Site als Konkurrenz. Als Bürger halte ich es aber für unverzichtbar, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag auch im Netz gilt. Die strukturellen Verwundbarkeiten privat-wirtschaftlicher und öffentlich-rechtlicher Medien balancieren sich im Idealfall, die einen sind potenziell verwundbarer gegenüber Übergriffen durch die Wirtschaft, die anderen durch die Politik.

Gabor Steingart: Der Auftrag von ARD und ZDF ist auch mir hoch und heilig – erst Recht, wenn man das Privatfernsehen in Amerika erlebt hat. Da weiß man diese in der Tat ökonomische Unabhängigkeit von privaten Interessen zu schätzen. Aber die Kritik am Online-Engagement der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland ist nicht emotional, sondern ökonomisch. Und sie ist berechtigt.

Wolfgang Blau: Aber wo sind ARD und ZDF Konkurrenten für Sie?

Gabor Steingart: Die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen funktionieren doch ganz anders als in der Privatwirtschaft: Was zählt, sind die Kosten, und nicht, was der Kunde bereit ist zu zahlen. Steigen die Kosten, steigen auch die Gebühren. Wenn ARD und ZDF sich voll im Netz engagieren könnten, bliebe für manche privaten Anbieter wenig Platz. Verständlicherweise wehren die sich dagegen. Außerdem ist der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen nicht plattformunabhängig, wie Herr Blau glaubt. Die Gründer der Republik haben das eindeutig auf die beiden damals vorhandenen elektronischen Wege – Radio und Fernsehen – begrenzt und ein Engagement im Zeitungs-und Magazinbereich ausdrücklich verboten. ARD und ZDF sind Rundfunkanstalten und sollten das auch bleiben.

Interview: Annette Milz, Daniel Bouhs

Zum Titel-Streitgespräch in mediummagazin 12-2010:

Das Titelgespräch zwischen Gabor Steingart und Wolfgang Blau  im Wortlaut lesen Sie in der Printausgabe von medium magazin 12-2010. Online wird es mit Erscheinen der nächsten Ausgabe  1-2011 ab Anfang 2011 verfügbar sein.

In dem Gespräch äußern sich beide Chefredakteure zu ihrer online-Strategie und dem Streitfall paid-content:

Gabor Steingart
Gabor Steingart
Wolfgang Blau
Wolfgang Blau

„Handelsblatt“-Chefredakteur Gabor Steingart will im Onlinegeschäft ausschließlich auf Bezahlmodelle setzen – Hoffnung in Werbung im Netz hat er aufgegeben. „Nebenausgänge können wir uns nicht mehr leisten. Was bei Edeka, Kaufhof und Hugo Boss gilt, muss auch im Mediengeschäft gelten: Immer an der Kasse vorbei“, mahnt er im Titelinterview mit dem „medium magazin“. In dem Streitgespräch mit „Zeit Online“-Chefredakteur Wolfgang Blau diskutierten die beiden über die Zukunft des Online- und Printjournalismus und die Instrumente zur Finanzierung. Blau spricht sich dagegen weitgehend für ein Festhalten an kostenfreien und mit klassischen Anzeigen finanzierten Portalen aus. Er glaube, „dass sich der Journalismus kollaborativ weiterentwickelt und wir zum Beispiel bestimmte Recherchen nur gemeinsam mit unseren Lesern verwirklichen können.“ Dazu aber sei eine relevante Reichweite notwendig. „Jetzt eine Paywall herunterzulassen, würde diese Zukunft unmöglich machen.“

Steingart will zwar das Portal seines Titels handelsblatt.com teilweise kostenfrei halten, um „das Grundinformationsbedürfnis ohne Gebühr zu erfüllen, aber immer dann zur Kasse zu bitten, wenn wir Vertiefung und erhöhte Geschwindigkeit bieten“. Für Anfang 2011 kündigt er im „medium magazin“-Gespräch zahlreiche kostenpflichtige Apps an. Zum Beispiel ein „Handelsblatt Express“ mit exklusiven Nachrichten, für die Nutzern dieser App etwa 120 Euro pro Jahr zahlen sollen, oder Apps für Insider-Meldungen aus den Reihen der Konzernlenker und einem Best-of der „Handelsblatt“-Berichte vom Tage.

„Zeit Online“-Chefredakteur Blau, an dessen Portal auch der „Handelsblatt“-Eigentümer, die Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH, beteiligt ist, sieht jedoch die Möglichkeiten einer Werbefinanzierung noch nicht ausgereizt, auch wenn Onlineauftritte vermutlich auch langfristig nicht allein darüber zu finanzieren seien. Die Werbung im Netz stehe aber erst am Anfang einer Entwicklung. „Wir sollten die Verweildauer stärker gewichten und wir wissen noch erstaunlich wenig darüber, wie sich hochwertige redaktionelle Umfelder auf die Rezeption von Online-Werbung auswirken“, mahnt Blau. Er kritisiert in diesem Zusammenhang den Zeitschriftenverlegerverband VDZ dafür, dass er sich mit „Schaukämpfen mit Google oder den Öffentlich-Rechtlichen“ beschäftige statt „mehr Ressourcen in die Online-Werbewirkungsforschung“ zu investieren.

Blau kündigt an, am Prinzip von „Zeit Online“ festzuhalten, das stark darauf setzt, das Wissen der Leser in Debatten zu erfahren. „Mit der Community verhält es sich wie mit einer guten Allgemeinbildung: Sie zu haben und zu pflegen ist teuer, sie nicht zu haben noch viel teurer“, sagt Blau, dessen iPad-App anders als die Angebote vieler Mitbewerber Kommentare der Leser zusammen mit den eigentlichen Veröffentlichungen einblendet. Dem Schweizer Verleger Michael Ringier, der auf den Zeitschriftentagen 2010 in Berlin kürzlich von einem „digitalen Mob“ sprach statt von einer Schwarmintelligenz im Netz, entgegnet Blau: „Wer wie Herr Ringier das Netz in seiner Gesamtheit verunglimpft, offenbart nicht Mut, sondern Orientierungslosigkeit.“