Interview II: Klaus Ott über Team-Recherchen

SZ-Rechercheur Klaus Ott im zweiten Teil des mm-Interviews zu den Arbeitsweisen der SZ und Grundlagen für investigative Reportagen.  

Hintergrund: Die JuSZ-Reporter Klaus Ott in seinem Büro Foto:privatry des Henri-Nannen-Preises wollte „Bild“ und „Süddeutsche Zeitung“ gleichberechtigt in der Kategorie „Investigativ“ auszeichnen. Das Team der SZ – Hans Leyendecker, Klaus Ott, Nicolas Richter – lehnte deshalb die Annahme des Preises während der Feier ab. Im ersten Teil des Interviews sprach Ott über die Hintergründe der Ablehnung, jetzt erzählt er von den Recherchen seines Teams.

Herr Ott, Sie kritisieren „Bild“ für deren Recherche-Methoden. Was sind denn Ihre Kriterien für saubere und faire investigative Recherchen?
KLAUS OTT: Am besten bringt man da immer Beispiele – da können wir auf unsere Recherchen in der Formel-1-Affäre verweisen. Wir haben über Wochen und Monate hinweg recherchiert, ob frühere Vorstandsmitglieder der Bayerischen Landesbank heimlich Zuwendungen bekommen hatten für den Kauf der österreichischen „Hypo Alpe Adria“-Bank – diesen Verdacht hatte die Staatsanwaltschaft und ist selbst nicht fündig geworden. Wir dagegen fanden beim damaligen BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky einen nicht erklärbaren Vermögenszufluss in Höhe von 50 Millionen Dollar. Nachdem wir diesen Sachverhalt hart recherchiert hatten, haben wir Gribkowsky natürlich damit konfrontiert und immer wieder Fragen nachgereicht. Zwischen unserem ersten Gespräch am Telefon mit Gribkowsky und der Veröffentlichung lagen zehn Tage, in denen wir weiter recherchiert und seine ersten Erklärungen geprüft haben, wobei wir zum Ergebnis kamen, dass diese Erklärungen nicht schlüssig waren. Wir haben dann nochmal und nochmal nachgehakt, bis wir ihn schließlich auf unser Drängen hin auch persönlich sprechen konnten. Dabei haben wir immer wieder zu dritt die Frage diskutiert: Was passiert, wenn an dem Verdacht, dieser Vermögenszufluss könnte unrechtmäßig gewesen sein, nichts dran ist – dann würden wir ihm ja massiv schaden. Wir haben immer wieder gezweifelt und uns gefragt: Ist das überhaupt eine Geschichte? Erst nachdem wir das Ganze absolut sorgfältig ausrecherchiert hatten und die letzten Zweifel durch weitere Recherchen beseitigt waren. Erst dann haben wir es veröffentlicht. Genau so muss es ablaufen, damit wir nicht Gefahr laufen, jemandem Unrecht zu tun, der dann für sein ganzes Leben gebrandmarkt wäre – und wir dann zu Recht nicht mehr ruhig schlafen könnten.

Auch „Bild“ hat im Fall Wulff immer wieder nachgefragt und um Stellungnahme gebeten. Und Fristen gesetzt für die Antworten, nach deren Ablauf man den Beitrag auch ohne Stellungnahme veröffentlicht werde. Setzen Sie auch Fristen für Antworten?
Auch wir setzen zum Teil Fristen, versuchen aber, diese so zu setzen, dass die Betroffenen genug Zeit haben, um in Ruhe Stellung zu nehmen.

Wie lang sind die? Wovon hängt das ab?
Das hängt vom jeweiligen Fall ab. Wenn es um einen Korruptionsfall geht, der lange zurückliegt – wie damals bei Siemens – und die betreffenden Personen erst noch in Akten nachschauen und mit früheren Kollegen Rücksprache halten müssen, dann muss die Frist natürlich länger bemessen sein, als wenn es um einen aktuellen Vorgang geht, der eine Woche zuvor in der Vorstandssitzung stattgefunden hat, den alle Betroffenen noch im Kurzzeitgedächtnis haben und zu dem noch alle Unterlagen vorliegen. Wenn diejenigen, bei denen wir recherchieren, uns gute Argumente dafür liefern, warum die Frist nicht ausreicht, dann verlängern wir solche Fristen auch – so wie im Fall Heinrich von Pierers bei Siemens. Wir gehen nicht vor wie Inquisitoren und sagen: Bis Redaktionsschluss, heute um 16 Uhr, müssen alle Fragen beantwortet sein – oder eben nicht, und wir berichten trotzdem. Das ist nicht der Stil der SZ.

Hans Leyendecker, Nicolas Richter und Sie sind drei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Wie arbeiten Sie im Team zusammen?
Die Zusammenarbeit funktioniert insofern problemlos, als wir alle drei ein gemeinsames Verständnis von Journalismus haben. Wir versuchen immer, möglichst unabhängig und unvoreingenommen an die Recherchen heranzugehen. Hätte Gerhard Gribkowsky uns etwa plausibel machen können, dass sein Vermögen aus der Familie stammte, wäre das Ganze höchstens noch in einer Hinsicht eine Geschichte gewesen: Er hatte das Stiftungsvermögen in Österreich bei einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft zum Fall Hypo Alpe Adria verschwiegen. Vielleicht deshalb, um dieses Vermögen vor Schadenseratzforderungen im Hypo-Fall zu retten? Es wäre aber natürlich keine Geschichte mehr über ein dubioses Vermögen geworden.
Wir fragen bei unseren Recherchen auch: Was gibt’s Entlastendes? Im Zweifelsfall wandert eine Geschichte auch mal in den Papierkorb, wenn wir bei der Recherche herausfinden: Der erste Ansatz trägt nicht. Man muss als Journalist bereit sein, etwas totzurecherchieren, bevor man in die falsche Richtung marschiert.

Wie teilen Sie sich die Arbeit?
Zunächst einmal teilen wir uns die Recherchen – einer findet ja immer die erste Spur. Dann folgen die Überlegungen: Was muss man wo recherchieren? Auch das haben wir ziemlich schnell aufgeteilt. Wenn es ans Schreiben geht, teilen wir uns nicht absatzweise auf, sondern der eine schreibt die Nachricht, der andere die Seite 3, je nachdem, was an Beiträgen geplant ist. Dann gehen wir gemeinsam nochmal drüber. Ich glaube, ich habe ein ganz gutes Händchen dafür, dass am Ende jedes Wort und jedes Komma stimmt, mache nochmal den Faktencheck und rede im Zweifelsfalle auch nochmal mit unserem Juristen, ob auch rechtlich alles seine Ordnung hat. Das Wunderbare ist, dass in diesem Team alles auf Zuruf funktioniert.

Wie halten Sie es untereinander mit dem Informantenschutz bei einer gemeinsamen Recherche?
Bei Informanten, die Wert darauf legen, dass nur einer von uns die Quelle kennt und die nur mit einem von uns reden wollen und nicht mit zweien oder dreien, wird auch innerhalb unseres Kreises der Name des Informanten nicht genannt – der bleibt bei demjenigen, der den direkten Kontakt hat, fertig, aus. Andere wollen ausdrücklich mit zweien oder allen dreien reden.

Was sind Ihre Hauptinformationsstränge, welche Rolle spielen bei Ihren Recherchen heute soziale Medien?
Unsere Hauptstränge sind unsere persönlichen Netzwerke, die vielen Kontakte im In- und Ausland. Unsere Gesprächspartner wissen, dass sie sich bei uns auf eine gründliche Recherche und auf eine verantwortungsvolle Berichterstattung verlassen können. Soziale Medien wie Facebook nutzen wir kaum, weil die Gefahr, dass man bei Recherchen in sozialen Netzwerken digitale Spuren hinterlässt, viel zu groß ist.

Gilt das auch Recherchen via Mail oder Mobilfunk?
Bei Recherchen in Deutschland verständigen wir uns natürlich auch ganz normal übers Telefon – zumindest was Termine anbelangt. Da habe ich schon Vertrauen in unseren Rechtsstaat, dass das Fernmeldegeheimnis gewahrt ist – da unterliegen wir auch keinen Verschwörungstheorien. Aber natürlich ist es so: Je kitzliger ein Thema ist, desto wichtiger sind persönliche Treffen, wo man im Zweifel auch mal Unterlagen überreicht bekommt. Da geht die Sicherheit des Quellenschutzes natürlich vor allem anderen.

Wieviele Gegenchecks von Informationen sind Sie für Sie unerlässlich?
Es versteht sich von selbst, dass wir insbesondere bei mündlichen Informationen nach mehreren Bestätigungen suchen, schon um subjektive Färbungen auszuschließen oder herauszufiltern – ganz unabhängig davon, dass eine Information von einer Seite allein keine Basis ist für eine Berichterstattung. Natürlich konfrontieren wir die Betroffenen immer mit den Ergebnissen unserer Recherchen, egal, ob die nun mündlich oder schriftlich erfolgt sind. So ist es nicht nur einmal vorgekommen, dass die potentielle Geschichte in sich zusammengefallen und im Papierkorb gelandet ist.
Ich sage jungen Kollegen immer: Lieber mal eine Geschichte totrecherchiert als vorschnell etwas veröffentlicht. Wer vermeintliche Geschichten, die dann doch keine sind, sein lässt, der schafft Vertrauen und macht sich einen guten Namen. Das spricht sich herum und bringt einen langfristig viel weiter als eine kurzfristige Schlagzeile.

In der Branche häuft sich die Klage, dass die Recherchekompetenz und aber auch die Möglichkeiten investigativer Recherche stark leiden. Sehen Sie das auch so?
Unter den Sparmaßnahmen im Medienbereich in den vergangenen Jahren leidet natürlich auch die Recherche, denn intensive Recherche ist immer auch mit intensivem Personalaufwand verbunden. Hinzu kommen Sachkosten. Insofern findet eine bedenkliche Entwicklung statt, resultierend aus den teilweise dramatischen Verlusten bei den Anzeigenerlösen in der Presse, teilweise auch bei den Vertriebserlösen durch zurückgehende Auflagenzahlen.
Besonders traurig ist es, wenn ARD und ZDF immer wieder immense Beträge in die Unterhaltung stecken und bei den Sportrechten eigentlich nichts zu teuer ist – und dann bei der politischen und wirtschaftlichen Berichterstattung und bei Dokumentationen gespart wird oder Dokumentationen auf Sendeplätze weit nach Mitternacht abgeschoben werden. Da sollte die Branche auch gemeinsam überlegen, inwieweit die Recherche – das ist ja mit eine der Hauptaufgaben der Medien – trotz dieser Entwicklung wieder gestärkt werden kann.

Manche binden in ihre Recherchen ganz bewusst auch die Netzgemeinde ein – Stichwort Schwarmintelligenz. Der „Guardian“ hat das vor einiger Zeit spektakulär genutzt. Was halten Sie davon?
Es mag Fälle geben, in denen das möglich ist, aber bei den Recherchen, die wir in unserem Team zu dritt betreiben, und auch bei dem Stoff, um den es da geht, kann ich mir das nur schwer vorstellen. Zum einen bekommen wir immer wieder Ermittlung- und Untersuchungsakten oder Firmenunterlagen mit Inhalten, die für die Öffentlichkeit nicht von Belang sind. Es ist gar nicht möglich, solche Unterlagen ins Netz zu stellen, ohne gegen Rechtsvorschriften zu verstoßen. Man muss immer sehr vorsichtig sein mit solchen Recherchemethoden. Je umfangreicher die Unterlagen sind, desto größer ist die Gefahr, dass auch solche darunter sind, die jemanden zu Unrecht diskreditieren können, weil gewisse Vorgänge noch nicht ausrecherchiert sind. Ich halte das also nicht für eine grundsätzliche Möglichkeit, die Verluste an Recherchemöglichkeiten auszugleichen, die in der Medienbranche aufgetreten sind.

Welche Basiskompetenz empfehlen Sie jungen Kollegen – ein Jurastudium, ein Wirtschaftsstudium? Was braucht ein guter Rechercheur?
Zunächst einmal gesunden Menschenverstand. Er sollte mitten im Leben stehen und ein im Laufe der Zeit gereiftes Urteilsvermögen besitzen – darüber, was unter Umständen eine Geschichte sein könnte, was man alles berücksichtigen muss, mit welchem Fingerspitzengefühl man mit Menschen umgeht, die sowohl Informanten als auch, in welcher Hinsicht auch immer, Verdächtige sein könnten. Ansonsten muss man bereit sein, immer auch viel Zeit in Geschichten zu investieren. Es können immer wieder Geschichten auftauchen aus Bereichen, in denen man nicht von vornherein der große Experte ist. Dann muss man sich in die Gegebenheiten vertiefen, sich Wissen aneignen, auch mit Hilfe von Fachleuten. Natürlich kann ein Wirtschafts- oder Jurastudium überhaupt nicht schaden.

Was halten Sie von der Bildung spezieller Investigativressorts?
Das ist ein großer Fortschritt. Je mehr Zeitungen und andere Medien dazu übergehen, desto besser – auch wenn es natürlich für unser kleines Team bei der SZ noch mehr Konkurrenz bedeutet und unsere Aussichten auf weitere exklusive Investigativgeschichten weiter schmälert. Wir sind ja nur drei Leute und können nicht dauernd große Bäume ausreißen.
Ich hoffe, dass noch mehr Zeitungen und Fernsehanstalten dazu übergehen, damit möglichst viele Kollegen auch einmal länger an einem Thema dranbleiben können und nicht jeden Tag auf Teufel komm raus soundso viele Geschichten produzieren müssen, damit das Blatt am nächsten Tag voll ist.

 Interview: Annette Milz

Foto: privat