„Twitter vorlesen ist in Ordnung“

Im August kommt der Schweizer Mitmachsender Joiz nach Deutschland. Social TV – ist das noch Journalismus oder die Diktatur der Masse? Ein Gespräch mit Geschäftsführer Carsten Kollmus.

 Carsten Kollmus (42) leitet den Aufbau von Joiz in Deutschland als Managing Director. Zuvor war er in gleicher Position für den Online-Videoanbieter Zoomin.TV sowie als Vermarkter bei Viacom (MTV), ZDF.newmedia und IP tätig.

Carsten Kollmus (42) leitet den Aufbau von Joiz in Deutschland als Managing Director. Zuvor war er in gleicher Position für den Online-Videoanbieter Zoomin.TV sowie als Vermarkter bei Viacom (MTV), ZDF.newmedia und IP tätig.

Am 5. August um 17.00 Uhr geht  Joiz an den Start. Warum schon wieder ein hipper Musiksender?
Carsten Kollmus:  Joiz ist kein Musiksender! Die Leute vergleichen uns zwar gerne mit Viva, mit NBC Giga und mit diversen Online-Videoangeboten. Die Wahrheit ist aber, dass wir all das nicht sind, sondern von allem ein bisschen haben – und noch viel mehr. Wir erfinden nichts neu, sondern wir nutzen erstmals konsequent die ganze Bandbreite von Social Communities wie Facebook, Twitter, Instagram und Skype für einen TV-Sender. Wenn man es genau nimmt, gibt es nur einen Social-TV-Sender – und das ist Joiz.

Wie erklären Sie Social TV einem 60-Jährigen, der nicht Teil der digitalen Generation ist?
Wer Facebook, Instagram oder Twitter nicht kennt, muss natürlich erst einmal diese Medien verstehen, um Joiz in der Gänze verstehen zu können. Wir machen Mitmachfernsehen. Wir setzen die Möglichkeiten der sozialen Medien ein, binden sie ins Fernsehen ein und sind so eine Art Heimat für diverse Online-Communities.

Womit will Joiz die Zielgruppe der 15- bis 34-Jährigen abholen?

Wir wollen die Community von Kool Savas, Lady Gaga, Mario Götze und Co. erreichen, indem wir Fans ermöglichen, direkt in unserer Sendung mit den Stars zu interagieren. So werden wir viel mehr Zuspruch bekommen, als mit einem klassischen TV-Konzept.

Info:
Mit einem 50-köpfigen Team startet der Mitmach-Sender Joiz. Ab 17 Uhr wird dreieinhalb Stunden live aus dem Berliner Postbahnhof nahe dem Ostbahnhof gesendet. Studio und Redaktion sind nach dem Schweizer Vorbild in einem Raum untergebracht, wo etwa das Talk-Format„Living Room“ stattfindet. Die Szene-Nachrichten „Noiz“ werden direkt am Schreibtisch der Moderatoren aufgezeichnet. Joiz sendet über digitale Kabelanbieter und den digitalen Satelliten Astra. Geplant ist auch, über den Online-Streamingdienst Zattoo, digitale IPTV-Angebote der Telekom und Vodafone verfügbar zu werden sowie über die Website www.joiz.de.

Einzelne Formate probieren ja schon das Mitmachfernsehen aus, ZDF login des Digitalsender ZDFinfo zum Beispiel. Da verkommt die Einbindung sozialer Medien aber oft zum reinen Twitter-Vorlesen…

…und das muss ja nicht schlecht sein. Twitter vorlesen ist in Ordnung. Aber wir gehen noch einen Schritt weiter. Wenn wir Justin Bieber auf dem Sofa sitzen haben, rufen wir seine Fans auf, live in die Sendung zu skypen und den Star selbst zu interviewen. Oder das eigene Bild über Facebook in die Sendung einzuspielen.

Wenn ich mir nun vorstelle, dass ein kreischender Teenie-Fan mit Justin Bieber direkt kommunizieren kann, läuft das womöglich schnell aus dem Ruder.

Klar, das kann passieren. Das ist unser Risiko, das wir durch die Offenheit haben. Es ist aber in den vergangenen zwei Jahren in der Schweiz nichts Schlimmes passiert. Wir dürfen unsere Zuschauer nicht verkennen, unter denen existiert ein hohes Maß an Verantwortung und Ernsthaftigkeit. In der Schweiz hatten wir mal eine Skype-Aktion mit dem Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar“. Da fragte die Anruferin live, ob er sie noch kenne – von damals, backstage. Da wurde es plötzlich ganz ruhig im Studio und alle hielten die Luft an. Und dann hat sie doch nur ganz süß eine Autogrammkarte hochgehalten und geweint, weil sie einfach ein bisschen reden durfte.

Mit Stars reden, die Zuschauer bestimmen das Programm.  Wo bleibt denn da der Journalismus?

Natürlich haben  wir Redakteure, die Themen recherchieren und vorgeben. Aber genauso wie Zuschauer uns ernst nehmen, müssen wir auch sie ernst nehmen. Deshalb stellen wir möglichst viel zur Wahl. Wir haben etwa eine Castingtour durch Deutschland gemacht und am Ende 20 potenzielle Moderatoren über Facebook zur Abstimmung gestellt. Die Leute kriegen aber nie ein weißes Blatt hingehalten, sondern immer eine redaktionelle Auswahl, über die sie dann reden können. Und da steckt auch Journalismus drin.

Wer hat am Ende das letzte Wort – die Redaktion oder der Zuschauer?
Teils, teils. Bei der Auswahl des Hauptmoderators definitiv der Zuschauer. Ansonsten sind wir ja verantwortlich für den Sender, weshalb eine Redaktion grundsätzliche Dinge entscheiden muss. Aber alles, was wir zur Wahl stellen, entscheidet dann auch wirklich der Zuschauer.

In der Schweiz erhält Joiz bis zu 18.000 Fragen pro Stunde bei einer möglichen Reichweite von 4 Millionen Menschen im deutschsprachigen Landesteil. Welche Erwartungen haben Sie für das etwa zwanzigmal größere Deutschland?
Das ist bei so einem interaktiven Format ganz schwer zu sagen. Aber klar, wir werden wahrscheinlich größer werden als die Kollegen in der Schweiz. Deren Zahlen dort sind aber auch nicht unsere Benchmark, sondern wir vergleichen uns mit der TV-Landschaft in Deutschland. Wir möchten deshalb auch schnell konkrete Zahlen vorlegen, indem wir uns der GfK-Messung anschließen.

Interview: Jens Twiehaus