Was sich bei ARD und ZDF ändern muss: 5 Thesen

Wenn Skandale wie die Causa Schlesinger den Scheinwerfer auf etablierte Organisationen lenken, dann leuchten sie nicht nur deren Abgründe aus. Plötzlich liegen auch zuvor unmögliche Wege im Licht. Leonhard Dobusch über die notwendigen Schritte, die öffentlich-rechtliche Medien endlich gehen müssten.

 

Leonhard Dobusch ist Professor für Organisation an der Universität Innsbruck mit Fokus auf Innovation, Standardisierung und private Regulierung sowie Mitgründer der Denkfabrik Momentum Institut in Wien. Von 2016 an war er Mitglied des ZDF-Fernsehrats, seit März 2022 gehört er dem Verwaltungsrat des ZDF an. Auch dazu bloggt er regelmäßig bei netzpolitik.org.
Leonhard.Dobusch@uibk.ac.at // (Foto: Jana Kay)

Die folgenden fünf Thesen verstehen sich als Beitrag zu jenem Teil der Debatte, der öffentlich-rechtliche Medien als wichtigen Beitrag zu demokratischer Öffentlichkeit versteht, aber genau deshalb mit Vehemenz auf deren tiefgreifenden Umbau drängt. Angesichts der Dominanz kommerzieller Plattformen und deren primär auf Profitmaximierung hin optimierten Algorithmen besteht an der prinzipiellen Sinnhaftigkeit öffentlich-rechtlicher Medien kaum ein Zweifel. Um ihrem Potenzial und Anspruch aber in diesem neuen medialen Umfeld gerecht werden zu können, müssen sie sich ändern. Wenn der Skandal, den die Vorkommnisse beim rbb rund um die Causa Schlesinger verursacht haben, dazu beiträgt, ohnehin notwendigen Wandel anzuschieben, dann umso besser.

1. Radikale Transparenz als neue Normalität

Beitragsfinanzierte Medien müssen sich an anderen, viel höheren Transparenzmaßstäben messen lassen als ihre privaten Mitbewerber. Wobei die transparente Information über die Verwendung von Beitragsgeldern – auch was Spitzengehälter und Tarifstrukturen betrifft – hier nur die Pflicht, das absolute Minimum darstellen. Auch Fragen über die strategische Weiterentwicklung öffentlich-rechtlicher Angebote sollten möglichst öffentlich geführt werden.
Voraussetzung dafür ist aber, Transparenzroutinen zu etablieren. Vorlagen zu öffentlichen Sitzungen müssen natürlich ebenfalls öffentlich zugänglich, Livestreams von Plenumssitzungen der Rundfunkparlamente eine Selbstverständlichkeit sein. Doch die Aufsicht nur transparenter zu machen, reicht nicht.

 

2. Aufsicht muss vielfältiger, staats- und senderferner werden

Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben kürzlich in einer Untersuchung detailliert nachgewiesen, was schon ein oberflächlicher Blick auf die Webseiten von Rundfunkräten vermuten ließ: die Aufsicht öffentlich-rechtlicher Medien leidet unter Diversitätsdefiziten, zu viele Mitglieder von Rundfunkräten werden von althergebrachten Verbänden und Religionsgemeinschaften entsandt, zu wenige sind jung oder verfügen über Migrationshintergrund.
Doch wie lässt sich gesellschaftliche Vielfalt abbilden, demokratische Rückbindung herstellen und gleichzeitig Staatsferne sicherstellen? Eine Möglichkeit wäre, zumindest einen Teil der Mitglieder per Losverfahren auszuwählen, wie das im Bereich der Justiz bei Schöffen- und Geschworenengerichten üblich ist. Damit wäre garantiert, dass ein wesentlicher Teil der Aufsicht nicht nach parteipolitischen Erwägungen besetzt ist – und bessere Repräsentativität und Distanz zu den beaufsichtigten Anstalten gäbe es quasi als Zugabe obendrauf.

 

3. Weniger „Hausberufungen“ bei der Auswahl von Führungskräften

Dieser Text stammt aus dem aktuellen medium magazin (04/2022). Darin finden Sie u.a. weitere Hintergründe zur Krise der Öffentlich-Rechtlichen, ein Doppelinterview mit Richard David Precht und Harald Welzer sowie ganz viel Nutzwert für die journalistische Berufspraxis. Es ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich.

Fehlende Vielfalt ist aber nicht nur in der Aufsicht öffentlich-rechtlicher Medien ein Problem. Im ZDF sind nahezu sämtliche Spitzenpositionen mit Menschen aus dem „Haus“ besetzt. In der Wissenschaft sind Hausberufungen, also die Besetzung von Lehrstühlen mit Personen, die an derselben Hochschule promoviert oder habilitiert wurden, verpönt. Und zwar mit gutem Grund: Arbeit an anderen Universitäten und in anderen Ländern weitet den Blick dafür, was auch anders möglich wäre.
Auch in den Führungsetagen öffentlich-rechtlicher Medien würden mehr Kompetenz und Ideen von außen nicht schaden. Gerade jetzt, angesichts von Aufklärungsversprechen und Glaubwürdigkeitsproblemen, würde es sich anbieten, Positionen wie beispielsweise eine Verwaltungsdirektion mit Menschen von außerhalb des öffentlich-rechtlichen Kosmos zu besetzen. Warum nicht einmal bei AlgorithmWatch, Tranparency International oder Wikimedia rekrutieren?

 

4. Öffentlich-rechtlicher Binnenpluralismus in die digitale Auslage

Ganz allgemein liegen im Bereich digitaler Angebote viele bislang ungenutzte Chancen dafür, die Besonderheit und damit aber auch die Bedeutung öffentlich-rechtlicher Medien im Vergleich zu privaten Angeboten herauszuarbeiten. Nach der im Jahr 2021 angestoßenen, technologischen Verschränkung der Mediathek-Entwicklung zwischen ARD und ZDF fehlt es bislang an innovativen Ideen, wie sich der gemeinsame Zugriff auf Inhalte und Metadaten auch redaktionell nutzen ließe.
Senderübergreifende Empfehlungen von passenden oder vertiefenden Inhalten sind hier eine naheliegende Option. Redaktionell herausfordernder, aber nicht weniger sinnvoll wäre, die neuen technischen Möglichkeiten zu nutzen, um öffentlich-rechtlichen Binnenpluralismus besser sichtbar zu machen. Warum nicht direkt neben oder nach einem Meinungsbeitrag aus den ARD-Tagesthemen einen weiteren, anders ausgerichteten Meinungsbeitrag zum selben Thema aus dem ZDF-Heute-Journal positionieren? Auf die technische muss jedenfalls die inhaltliche Verschränkung der Online-Angebote folgen. Denn dadurch lässt sich am besten zeigen, warum zwei getrennte redaktionelle Angebote einen demokratischen Mehrwert liefern.

 

5. Demokratisierung zum Leitprinzip der digitalen Transformation machen

Einen demokratischen Mehrwert zu liefern ist schließlich die wichtigste Qualität und Existenzbedingung öffentlich-rechtlicher Medien überhaupt. Digitale Technologien eröffnen hier eine Reihe von Möglichkeiten für Demokratisierung, vom Konsum über die Produktion bis hin zur Infrastruktur öffentlich-rechtlicher Angebote – sie werden bislang jedoch nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft.
Im Bereich des Medienkonsums ist es vielmehr so, dass öffentlich-rechtliche Portale trotz Login und Nutzerprofilen zum allergrößten Teil keine Publikumsbeiträge oder -interaktion zulassen. Das führt zu einer absurden Situation: Wer öffentlich-rechtliche Inhalte kommentieren und diskutieren möchte, muss sie erst auf Youtube oder Instagram suchen. In der Mediathek darf hingegen nicht einmal ein „Like“ dagelassen werden.
Kein Wunder also, und das bringt uns zur Demokratisierung der Produktion, dass nutzergenerierte Inhalte schon gar keinen Platz in Mediatheken finden. Aber auch sonst werden zwar öffentlich-rechtliche Inhalte über Drittplattformen ausgespielt, Kuratierung und Einbettung von Inhalten auf diesen Plattformen in Mediatheken gibt es jedoch gar nicht. Und viel zu wenig laden öffentlich-rechtliche Inhalte mit freien, Wikipedia-kompatiblen Lizenzen zur Weiterverbreitung und -nutzung ein.
Obwohl sie alle vor ähnlichen technischen Herausforderungen stehen und gemeinsame Programmiersprachen sprechen, entwickeln Öffentlich-Rechtliche europaweit ihre digitale Infrastruktur immer noch proprietär und allein vor sich hin. Eine Demokratisierung der Infrastruktur über offene Software, offene Standards und offene Protokolle würde nicht nur dringend benötigte Entwicklungsressourcen schonen, sondern das Fundament für ein offenes und grenzüberschreitendes, öffentlich-rechtliches Ökosystem legen.

Ein konsequenter Umbau entlang der hier skizzierten Thesen würde demonstrieren, wie öffentlich-rechtliche Medien mit offener Dezentralität dringend notwendige Alternativen zum kommerziellen Zentralismus der großen Digitalplattformen stärken könnten.
Worauf warten sie noch?