Weltreise auf eigene Faust: #amPulsderErde

Raphael Thelen und Theresa Leisgang wollen alle fünf Klimazonen bereisen – um sich selbst und anderen beweisen, dass eine „andere Klimaberichterstattung“ möglich ist.

 

Sie sind seit Anfang März unterwegs – ohne feste Aufträge, auf eigene Faust. Theresa Leisgang ist als freie Journalistin freie Journalistin spezialisiert auf Nachhaltigkeit und Menschenrechte. Raphael Thelen war bis vor kurzem Reporter der Agentur Zeitenspiegel und gehört den Top30bis30 Jahrgang 2016. Über ihre Motivation, die Vorbereitung und Pläne und die Hürden, auf die sie in Redaktionen gestossen sind, schreibt er: 

„Und dann war es durchgeschlagen, unser Bedürfnis etwas Radikales zu tun, auszubrechen aus dem Kleinklein der genormten Berichterstattung, wenigstens mal den Versuch wagen, der Klimakrise gerecht zu werden, die so anders ist, als alles was wir je zuvor erlebt haben – nicht nur in ihrer Größe, sondern auch in ihrer Tonlage. Denn eigentlich sind Krisen schrill und laut. Schüsse peitschen. Witwer weinen um ihre Frauen, Unfallwracks lodern. Nicht so die Klimakrise, sie ist wie leiser Jazz in einem abstürzenden Fahrstuhl.  Die Dürre hält ein paar Wochen länger an, der Meeresspiegel steigt um einen Zentimeter, der Erdrutsch fordert mehr Opfer. Wie viele genau? Niemand kann es sagen. Aber diese Krise wird der Soundtrack unseres Jahrhunderts.

Raphael Thelen und Theresa Leisgang in Südafrika, zu Beginn ihrer Reise durch alle Klimazonen. Foto: Privat

Und wir hatten das Gefühl daran zu scheitern, angemessen darüber zu berichten und auch in den meisten Redaktionen ist „Klima“ immer noch ein Thema wie jedes andere. Und das ist ein Problem, denn: der Klimawandel ist kein Thema, er ist der Rahmen, der das Leben auf der Erde bestimmen wird, der Rahmen für unsere Zukunft.

Die konservativen Schätzungen des Weltklimarats sagen: Innerhalb der nächsten zehn Jahre müssen wir –  die Industriestaaten – unsere Emissionen halbieren, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Schaffen wir das nicht, überschreiten wir wahrscheinlich klimatische Kipppunkte, wodurch die Durchschnittstemperatur weltweit um vier Grad steigen könnte, das hieße: Große Teile der Welt werden unbewohnbar. Hunderte Millionen Tote. Wir haben noch zehn Jahre, um das zu verhindern. Das ist keine Panikmache. Das ist der Konsens von 99 Prozent aller Klimawissenschaftler weltweit.

Die globale Erwärmung ist also eine systemische Krise, doch deutschen Redaktionen fehlt es an Kenntnis, Standpunkten und Konzepten, um damit umzugehen. Klar ist Klimawissenschaft kompliziert. Aber um den Klimawandel in seinen Grundzügen zu verstehen, reicht es, ein oder zwei Bücher zum Thema zu lesen. Wir können „Climate Change“ von Joseph Romm empfehlen – da steht vieles drin, was man wissen muss, verständlich aufgeschrieben.

Wo es an Kenntnissen fehlt, fehlt es dann auch an eigenen Standpunkten. Politik, heißt es, ist die Kunst des Machbaren, doch Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet und eine Berichterstattung, die das anerkennen würde, hätte einen eigenen Standpunkt, sie würde unsere Politiker ständig daran erinnern, wer verantwortlich ist für die Zerstörung der Ökosysteme. Sie würde andere Fragen ins Zentrum rücken.

Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer: Was bedeutet das für den Kohleausstieg? Brexit: Was bedeutet das für den European Green Deal? Handelskrieg zwischen China und den USA: Was bedeutet das für die Weltklima-Verhandlungen?

Stattdessen wird ständig gefragt: Was bedeutet das für den DAX? Es fühlt sich an, als hätten wir gemeinschaftlich einen Schlauch vom Auspuff in unsere Fahrerkabine gelegt, träten noch mal richtig aufs Pedal, weil wir so gerne schnell fahren; und während wir langsam erstickten, lauschten wir den Radionachrichten über den Zustand der Autoindustrie.

Die Klimakrise ist also kein Thema wie alle anderen. Es braucht neue Konzepte.

Und deshalb sind wir aufgebrochen, wollen 18.000 Kilometer über Land von Südafrika bis zum nördlichen Polarkreis reisen, ganz nah am Puls der Erde. Einmal sind wir in Frankfurt ins Flugzeug gestiegen, ab jetzt nehmen wir die öffentlichen Verkehrsmittel, falls uns die Sicherheitslage nicht daran hindert.

Aber wir tun das nicht nur, weil wir Flugscham verspüren – dieses individuelle Shaming ist die falsche Diskussion – nein, wir reisen über Land, weil wir nah dran sein möchten an den Menschen, die die Krise schon heute trifft.

In der Vorbereitung haben wir mit einer ganzen Reihe von Redaktionen gesprochen, ob sie unsere Serie veröffentlichen wollen, doch aus unterschiedlichen Gründen sagten sie alle ab. Für uns war das ein Schock. Große Redaktionen geben freien Journalisten Sicherheit, Geld und einem solchen Projekt auch Prestige. Für manche ist „Blogger“ immer noch ein Schimpfwort. 

Wir werden einen Blog schreiben, einzelne Reportagen an Magazine geben und unsere Erkenntnisse auf Instagram teilen. So ist es wirklich unser Projekt, wir haben die volle Kontrolle über Stil und Fokus, wir können Feminismus und Kolonialität auf die Agenda setzen. Gleichzeitig bedeutet weniger Sicherheit also auch mehr Freiheit. Statt teure Fixer und Fahrer buchen zu können, werden wir uns jetzt mehr einlassen müssen auf die Menschen vor Ort, sind von ihrer Hilfe abhängig, was uns verletzlicher macht, aber auch durchlässiger.

Wofür wir so viel mehr Zeit verbringen mussten, als geplant: Telefonieren und Kaffee trinken. Anstatt uns mit einer Redaktion zu koordinieren, sprechen wir mit vielen Partnern, Stipendiengebern und Stiftungen. Von der Finanzierung war bei Abflug gerade mal ein Fünftel gesichert. Doch wenn auch nicht aus jedem Gespräch eine direkte Förderungsmöglichkeit entstanden ist, dann zumindest die Gewissheit: Es ist genau das Richtige, jetzt diese Reise anzutreten.

Die Geschichte zeigt, dass Krisen Wendepunkte sein können, weil sie uns Raum geben, Strukturen zu hinterfragen. Ständig auf den DAX zu starren ist so eine Struktur, die unseren Planeten zerstört, unseren Lebensraum. Die Denkweise, alles sei wirtschaftlich nutzbar hat ihren Ursprung in Europa. Sie setzt Quantität über Qualität, Haben über Sein, macht aus einem Schwarm Makrelen „Fischbestände“, als lägen sie als Ware in einem Lagerhaus. Wir fragen uns, ob die Antworten auf die gegenwärtige Krise wirklich bei uns zu finden sind. Felwine Sarr entwickelt in seinem Essay Afrotopia kluge Gedanken dazu, warum wir vielleicht in Afrika suchen sollten.

Es ist ein wahnsinnig hoher Anspruch, Lösungen für diese riesige Krise zu finden. Aber bevor wir über den IPCC Reports wahnsinnig werden, versuchen wir, ein paar Geschichten zu vermitteln über das Leben in der Klimakrise, einen Blick in eine mögliche Zukunft zu erhaschen und Gedanken darüber zu spinnen, wie ein gutes Leben für alle Wirklichkeit werden kann. Wir persönlich fangen im Kleinen an: Wir haben uns vorgenommen, ohne Burnout zurückzukommen.“

TIPP: Ihre Geschichten und Einblicke in das gute Leben auf Recherche zeigen Raphael Thelen und Theresa Leisgang auf ihrem Instagram Account: @zwei_am_puls .  Folgen kann man den beiden auch bei Twitter @PulsderErde und bei Facebook facebook.com/AmPulsDerErde