Zukunft: Innovation ist weiblich

Klimakrise, Plattformen, künstliche Intelligenz: Selten gab es in der Branche drängendere Fragen nach dem, was die Zukunft für unseren Beruf bringt. Wir haben sie Expertinnen gestellt – und viele spannende Antworten erhalten.

Umfrage: Senta Krasser

© Rebecca Rütten

„Kann Datenjournalismus das Klima retten, Frau Schurmann?“

„Ich bin davon überzeugt, dass Journalismus einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann und muss, unsere Zukunft zu retten. Indem wir erstens einer breiteren Öffentlichkeit das Ausmaß der Klimakrise verständlich machen und zweitens realistische Lösungen aufzeigen und so den nötigen gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen. Dafür müssen wir politische Lösungsvorschläge konsequent auf ihre Plausibilität überprüfen, an wissenschaftlichen Fakten abgleichen und entsprechend einordnen. Wir müssen deutlich machen, wie akut und umfassend die Krise ist, indem wir sie überall mitdenken und die Zusammenhänge sichtbar machen. Sie ist nicht einfach ein – vermeintlich rein politisches – Thema neben anderen, wird in Politik und Medien oft aber noch immer so behandelt. Datenjournalismus ist ein Baustein, der helfen kann, diese komplexe Krise begreifbar zu machen.“

ZUR PERSON: Sara Schurmann, 2018 unter die „Top 30 bis 30“ gewählt, beschäftigt sich intensiv mit der Klimakrise. Sie war zuletzt Redaktionsleiterin des Klima- und Nachhaltigkeitsformates OZON von funk und hat das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland mitgegründet.

 

„Hilft ein Ethik-Codex im automatisierten Journalismus, Frau Köppen?“

Wir haben unsere Ethik Guidelines nicht nur aufgeschrieben, sondern auch veröffentlicht, und das hat uns auf vielen Ebenen geholfen. Die Guidelines sind beim Schreiben unserer KI-Strategie für den BR entstanden, an der Kolleg*innen vom Archiv über die Mediathek bis zum Newsroom mitgearbeitet haben. Dabei gab es immer wieder Herausforderungen: Wie schaffen wir es, eine Offenheit für die Arbeit mit Daten zu ermöglichen und gleichzeitig datensparsam zu sein? Wie unterstützen wir Redaktionen, die vor ganz praktischen Fragen stehen, wie Abnahmeprozesse für automatisierte Texte zu entwickeln? Und letztendlich: Wie können wir offen für neue Entwicklungen sein, ohne dass Technologie zum Selbstzweck wird? All diese Fragen haben wir in zehn Richtlinien gegossen, die beschreiben, wie wir handeln wollen: offen, transparent, datenbewusst. Das Wichtigste an diesen Richtlinien sind die Gespräche dazu: Dass wir uns über unsere Ziele bewusst geworden sind. Und dass uns klar ist, dass wir zu diesem frühen Zeitpunkt nicht alles wissen können. Deshalb haben wir die Guidelines auch veröffentlicht, was uns mit vielen anderen darüber ins Gespräch gebracht hat. Diese Gespräche wollen wir noch viel breiter führen und dann unsere Guidelines überarbeiten. Ich würde jedem Unternehmen, das mit Daten und KI arbeiten möchte, empfehlen, seine Grundsätze aufzuschreiben. Denn Automatisierung und KI funktionieren nur ganzheitlich – als Einzelkämpfer oder als einzelnes Team wird man nicht so viel bewirken.

ZUR PERSON: Ulrike Köppen leitet das Team BR Data beim Bayerischen Rundfunk und hat das interdisziplinäre AI + Automation Lab mit aufgebaut. Vor einem Jahr gab sich der BR 10 Richtlinien für KI im Journalismus: https://www.br.de/extra/ai-automation-lab/ki-ethik-100.html

 

„Müssen Journalist:innen fürchten, dass KI sie ersetzt, Frau Elmer?“

„Keineswegs! Aber wir müssen uns mit neuen Technologien und selbstlernenden Systemen auseinandersetzen und schauen, wo wir sie sinnvoll in unsere Prozesse, in die Recherche, Produktion und Distribution unserer Inhalte integrieren können. Etwa, um Archive, Daten und Leaks auszuwerten, Fakes zu identifizieren oder Beiträge automatisiert auf diversen Plattformen passgenau zu veröffentlichen. Hier müssen wir auf dem aktuellen Stand sein und eigene Lösungen entwickeln, um letztlich nicht von großen Technologieunternehmen überholt zu werden. Und wir müssen stärker als bislang deutlich machen, was einen Journalismus auszeichnet, der von Menschen recherchiert und gestaltet wird: empathische Fragen etwa, kreative Formate, der persönliche Austausch mit Leserinnen und Lesern. Auf diesen Feldern werden uns KI-Systeme so schnell nichts vormachen können. Aber es reicht eben nicht, sich allein darauf zu fokussieren – nur wenn wir die technologischen Möglichkeiten im Digitalen nutzen, können wir unsere Stärken auch wirklich ausspielen und unserem Auftrag gerecht werden.“

ZUR PERSON: Christina Elmer war stellvertretende Entwicklungschefin beim „Spiegel“, bevor sie in diesem Herbst eine Professur für Datenjournalismus/Digitalen Journalismus an der TU Dortmund antrat.

 

„Lösen Newsletter die Probleme der Verlagswelt, Frau Frey?“

„Die ganz kurze Antwort lautet natürlich: Nein.

Ein großes Problem der digitalen Verlagswelt ist die immer wiederkehrende Hoffnung, dass es „die eine“ Rettung, die Erlösung für alle Probleme gäbe, denen digitaler Journalismus ausgesetzt ist. Newsletter haben – für sich genommen – als Heilsbringer keine Chance.

Aber: Sowohl die Perspektive auf das Ende des 3rd-Party-Cookies als auch die ehrgeizigen Abo-Ziele vieler Verlage machen es unumgänglich, loyale Direktbeziehungen mit Nutzern aufzubauen. Hier können Newsletter, eingebettet in umfassendere Strategien, insbesondere zwei spezifische Probleme lösen:

  • Wie mit welchen Mitteln konvertiert man einen anonymen Artikelbesucher schrittweise in einen loyalen, registrierten und ggf. zahlenden Nutzer?
  • Wie mit welchen Mitteln und exklusiven Vorteilen hält man zahlende Nutzer bei der Stange?

In beider Hinsicht können gute Newsletter ein erfolgreiches Bindeglied darstellen. Aber was ist ein „guter“ Newsletter? Dazu haben zum Beispiel Franziska Bluhm oder Axios in der Vergangenheit wertvolle Tipps gegeben.“

ZUR PERSON: Pia Frey ist Co-Gründerin von Opinary, einem Medien-Tech Start-up, das es Usern ermöglicht, ihre Meinung in Online-Artikeln auszudrücken. Sie arbeitete zuvor als Journalistin (u.a. „Welt“) und betreibt den Podcast „OMR Media“.

 

© Axel Springer SE

„Ist Coden wirklich der Skill der Zukunft, Frau Salah-Eldin?“

„Nein. Ich bin nicht davon überzeugt, dass Journalistinnen auch programmieren müssen. Es müssen nicht alle alles machen, aber alle müssen verstehen, warum Technologie wichtig ist. In Zukunft wird es stärker darum gehen, dass die verschiedenen Gewerke in Medienhäusern gut zusammenarbeiten und neue Wege der interdisziplinären Zusammenarbeit finden. Wer in Zukunft erfolgreich sein möchte, sollte also neugierig, empathisch und lernbereit sein.

Mit der FreeTech – Axel Springer Academy of Journalism and Technology setzen wir genau da an und verbinden in der Aus- und Weiterbildung Journalismus und Tech auf eine einzigartige Weise. Von Beginn an arbeiten unsere Talente gemeinsam und mit verschiedenen Einheiten von Axel Springer an konkreten Praxisthemen. So bauen wir eine Brücke zwischen Journalismus und Technologie.

Technologie wird übrigens oft auf Programmieren und Softwareentwicklung reduziert. Das ist ein großes Missverständnis. Software-Entwicklung ist ein wichtiger Bestandteil, doch Tech umfasst so viel mehr als das, unter anderem Produktmanagement, Daten oder Interaction Design. Neben relevanten Inhalten braucht man all diese Gewerke, um im Digitalen erfolgreich zu sein. 

Medienhäuser müssen zukünftig neben exzellenten Journalisten auch die kreativsten Technologie-Talente für ihre Unternehmen begeistern, nur so können sie im Wettbewerb bestehen und dauerhaft erfolgreich sein, denn Technologie ist ein zentraler Treiber von Innovation und Transformation. Wer also Innovationen vorantreiben und sich fit für die Zukunft machen will, muss Journalismus und Technologie eng miteinander verzahnen, den Kulturwandel vorantreiben und diese Zusammenarbeit im Alltag verankern und Lust darauf machen.“

ZUR PERSON: Niddal Salah-Eldin leitet seit September die „FreeTech – Axel Springer Academy of Journalism and Technology“, in der Journalisten und Tech-Talente unter einem Dach ausgebildet werden. Davor war sie Vize-Chefredakteurin der dpa.

 

© Miguel Ángel Sánchez

„Braucht der Datenjournalismus Booster wie Corona, Frau Erdmann?“

„Auf diesen Booster hätte ich gerne verzichtet. Egal wie sehr der Datenjournalismus davon profitiert haben mag – eine Pandemie mit vielen Millionen Toten braucht er nicht.

Trotzdem haben wir Datenjournalist*innen aus der Pandemie viel gelernt: Seit mehr als einem Jahr zeigen wir die Corona-Statistiken, unsere Grafiken haben wir unzählige Male überarbeitet. Im Hintergrund sammeln wir jeden Tag automatisiert Daten aus vielen verschiedenen Quellen. Ein technisches Großprojekt.

Gleichzeitig haben unsere Grafiken und Texte mehr Leser*innen erreicht als jemals zuvor. Ob exponentielles Wachstum oder Impfstoffstudien: Plötzlich interessierte das sogar Menschen, die vorher beim Wort Statistik weggerannt (oder aber eingeschlafen) wären. Hoffentlich bleibt davon auch nach der Pandemie ein Grundverständnis für Daten, Statistik und Wissenschaft.

Die Pandemie hat gezeigt, dass in Daten ein riesiges Potential steckt, um in Krisensituationen besser zu reagieren. Dafür ist aber nicht nur der Datenjournalismus wichtig, sondern auch ein transparenter Umgang mit Daten in Politik und Behörden. Schließlich kommt mit dem Klimawandel eine ungleich größere Krise auf unsere Gesellschaft zu. Ich wünsche mir, dass Datenjournalist*innen dafür aus der Pandemie gelernt haben. Dass die Debatte faktenbasiert und mit einem Grundverständnis für Daten und Statistik geführt wird. Und dass Behörden und Politik ihre Daten offen und transparent kommunizieren. Dann könnte Corona tatsächlich als Booster funktionieren.“

ZUR PERSON: Elena Erdmann ist Daten- und Wissenschaftsjournalistin bei „ZEIT Online“. Ihr Schwerpunkt: Coronazahlen erklären. Sie gehört außerdem zum Team von Journocode, das Praxiserfahrungen und Fachwissen in Workshops und Vorträgen teilt.

 

Müssen Redaktionen noch auf Facebook sein oder investieren sie besser in andere Social-Media-Experimente, Frau Boczek?

„Redaktionen müssen nicht mehr auf Facebook präsent sein. Längst sind andere soziale Netzwerke in der Nutzungshäufigkeit und Bedeutung an Facebook vorbeigezogen. Die aktuellen Diskussionen um Facebook können ein guter Anlass sein, um die sozialen Aktivitäten neu aufzustellen. Bei der Auswahl, welche sozialen Netzwerke oder Kommunikationswege sie stattdessen bespielen möchten, sollten Redaktionen deren Image genau unter die Lupe nehmen und prüfen, welche neue Zielgruppe sie so erreichen können. Die Frage, warum ein Kanal genutzt wird, sollten alle in der Redaktion beantworten können.“

ZUR PERSON: Karin Boczek ist seit Mai Juniorprofessorin für Digitalen Journalismus an der Katholischen Universität Eichstätt. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Social Media und Messenger Apps im Journalismus.

 

Dieser Beitrag ist in der „Journalistin“ erschienen. Das Heft erscheint einmal im Jahr und liegt diesmal der „medium magazin“-Ausgabe 05/21 bei. Beide Hefte können ab 28. Oktober als E-Paper oder Printmagazine erworben werden. Hier geht’s direkt zum Shop