Zum Tod von Alfred Neven DuMont: „Meine Priorität galt nie zuerst dem Geldverdienen“. Sein großes Jubiläumsinterview

Alfred Neven DuMont, der große Patriarch der deutschen Zeitungsverlegerszene, ist am 30.Mai 2015 im Alter von 88 Jahren gestorben. Das teilte die Unternehmensgruppe DuMont Schauberg am Sonntag, 31.Mai mit.  

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Das Interview mit Alfred Neven DuMont erschien als Titel in mediummagazin Nr.10/2003.

In Erinnerung an den „König von Köln“ veröffentlichen wir das große Interview in ungekürzter Länge, das Alfred Neven DuMont 2003 aus Anlass seines damals 50jährigen Verlegerjubiläums  „medium magazin“ gab. Das Interview führte Annette Milz

Glückwunsch zu Ihrem jüngst erschienenen Buch „Die verschlossene Tür“. Was treibt sie als Zeitungsverleger zur Belletristik?

Alfred Neven DuMont: Meiner Mentalität her war ich ursprünglich der Kultur, dem Theater, dem Schreiben zugewandt. Für mich war der Einstieg in die Zeitung das Schreiben. Ich habe schon als 16-jähriger Theaterstücke geschrieben, später viele Artikel. Meine Priorität galt nie zuerst dem Geldverdienen. Gut, ich habe mir die wirtschaftliche Seite dann auch angeeignet. Der Verleger muss als Januskopf beides beherrschen. Er muss in meinen Augen schöpferisch sein, journalistische und publizistische Vorstellungen haben, aber er muss das natürlich wirtschaftlich realisieren können. Nun habe ich mich aber mit einer gewissen List auf die schönen Künste zurückbesonnen: Wenn man so ein Buch wie „Die verschlossene Tür“ schreibt, gewinnt man auch etwas Abstand zum Tagesgeschäft.

 Sie sind nun seit 50 Jahren als Verleger tätig. Hatten Sie zu Beginn eigentlich Vorbilder Ihrer publizistischen Arbeit?

 Mir fallen da zwei Leute ein: der eine war Arthur Hays Sulzberger von der New York Times, dem ich als junger Student Mitte der 50er Jahre in Amerika begegnet bin. Damals sagte er mir: „Demokratie besteht aus Wechsel. Setzt Euch für den Wechsel ein. Nur die Demokratie ist lebendig, die vom Wechsel lebt.“ Das hatten die Deutschen noch nicht gelernt, wie man z.B. 1969 sah, als sie sich nach 20 Jahren Adenauer-Ära schwer taten eine neue Regierung zu wählen. Der Zweite war der junge Axel Springer – ein Vorbild für mich besonders in Bezug auf eine Zeitung, bei der ich Anfang der 50er Jahre gelernt habe: das Hamburger Abendblatt. Das war die erste spannende, moderne, interessante Regionalzeitung in Deutschland, die in der damaligen Presselandschaft völlig aus dem Rahmen fiel. Dafür muss man ihm ein ganz dickes Kompliment machen. Später haben ihr ja eine Reihe nachgeeifert wie z.B. die Neue Rhein/Ruhr-Zeitung – eine sehr interessante Zeitung, die aber verlegerisch falsch, auf ein zu großes Verbreitungsgebiet ausgelegt war.

Axel Springer war im eigenen Selbstverständnis ein politischer Verleger. Das sagt man auch über Sie. Verstehen Sie sich selbst so? 

Ich würde mich nur als wirtschaftlicher Verwalter meiner Zeitung nicht glücklich gefühlt haben. Das entspricht nicht meiner Mentalität. Ich weiß nicht, ob ich das als „politischer Verleger“ bezeichnen würde, eher als Verleger mit politischem Engagement. Selbstverständlich interessiert es mich, wer hier in Köln die Verantwortung trägt und ob die Burschen einigermaßen etwas leisten. Oder ob eine Landes- oder Bundesregierung einschläft oder neue Ideen hat.

Screenshot 2015-05-31 14.06.10Der Titel mit dem für die Printfassung gekürzten Interview Alfred Neven DuMont in Ausgabe mediummagazin Nr.10/2003 enthielt zusätzliche Hintergrundinfos. Hier finden Sie das komplette pdf der Printfassung

Sie selbst haben 1969 die erste Wahlempfehlung in einer deutschen Zeitung gegeben, für die sozialliberale Koalition. Wie fanden Sie da die Diskussionen um die Wahlempfehlung der FTD im vergangenen Jahr?

Heute ist es schwer nachvollziehbar, in welcher Verkrustung die Gesellschaft damals erstarrt war, das Aufbegehren der Studenten ein Jahr zuvor war nur zu verständlich. Es blieb einem ja die Luft weg in diesem Land zu jener Zeit – „Keine Experimente“. Das empfand ich als Basis für diese neue Demokratie als belastend. Deshalb habe ich damals jene Wahlempfehlung gegeben, die Redaktion war merkwürdigerweise gar nicht so glücklich darüber, obwohl sie dann nach der Wahl alle für die Koalition waren. Auch Redakteure können sich wandeln oder ändern … Ich würde eine solche Empfehlung nie für falsch oder lächerlich halten. Im Gegenteil: Sie sollten mal die New York Times vor einer Wahl lesen: da wird jeder Abgeordnete, jeder Senator unter die Lupe genommen und der bessere Kandidat von der Zeitung ausgezeichnet. Stellen Sie sich das mal hier in einer deutschen Zeitung vor: Sämtliche Bundestagsabgeordneten auf zwei, drei Seiten und jeder bekäme eine Note – unabhängig welcher Partei er angehört.

Warum wird das hier nicht gemacht, auch in Ihren Zeitungen nicht?

Die Frage ist sehr berechtigt, weil wir ….vielleicht ein bisschen kleinkariert sind. Allerdings hängt das auch mit der wirtschaftlichen Souveränität einer Zeitung zusammen. Wenn man so stark ist wie eine NYT kann man sich das alles leisten. Aber wenn wir hier solche Empfehlungen und Bewertungen geben würden, gingen die Leute auf die Barrikaden.

Wie prägend war ihr Studium in den 50er Jahren in den USA für ihre verlegerische Tätigkeit?

 Außerordentlich prägend. Wir waren damals ja wirklich ein alter Kontinent. Jetzt werden wir so beschimpft, aber damals waren wir es tatsächlich: Wir sahen alt aus – nicht nur die Verlierer-, sondern auch die Siegermächte. Wir hatten uns in zwei Kriegen im Kampf untereinander verschlissen. Amerika war damals erfrischend und jung, voll des Idealismus – nicht das Bush-Amerika von heute. Das war ein Amerika, das wirklich die Welt erneuern wollte. Ich habe seither meine Liebe für Amerika nie verloren, obwohl die Dame älter geworden ist.

 Haben Sie deshalb Anfang des Jahres in Halle die Europäische Journalistenschule für multimediales Arbeiten gegründet? Was soll diese Schule genau leisten?

Amerika ist uns immer noch einen Riesenschritt voraus und da in einer besseren Situation: Es ist eine „greater society“ – nicht nur in der Zusammensetzung der Bevölkerung, sondern auch von der Größe des Landes und dem internationalen Engagement her. Hierzulande wird dagegen noch von vielen verdrängt, dass ein großer Teil unserer Politik gar nicht mehr in Deutschland, sondern in Brüssel gemacht wird. Mir war aufgefallen, dass es symptomatisch für diese Haltung in Deutschland keine europäische Schule für Journalismus gibt. Ich glaube aber, dass wir die jüngeren Journalisten mehr in diesem Sinne schulen sollten.

„Ich kann mir vorstellen, dass Zeitungen und Bücher wieder etwas elitäre Züge annehmen werden.“

Die Schule, die ihren Namen trägt, verfolgt einen doppelten Ansatz – zum einen den europäischen Gedanken, zum anderen das multimediale handwerkliche Arbeiten. Was bedeutet Ihnen das Internet für die Zukunft der Zeitung?

Das ist eine sybillinische Frage. Mein eigenes Gefühl für diese Dinge ist doppelbödig: Auf der einen Seite freue ich mich, weil damit das Knowhow, die Wissensmöglichkeiten für die Bevölkerung voranschreiten, gar kein Zweifel. Aber machen wir uns nichts vor: Auf der anderen Seite ist es auch eine Konkurrenz zum gedruckten Wort. Lassen Sie uns in zehn Jahren sehen, wie viele Bücher noch gedruckt und wie viele Zeitungen noch erscheinen. Ich sehe nicht das Ende des gedruckten Wortes. Das elektronische Wort ist sehr verführbar, hat nicht die Wirkung wie das gedruckte Wort. Aber ich kann mir vorstellen, dass Zeitungen und Bücher wieder etwas elitäre Züge annehmen werden, weil die Auflagen in Zukunft niedriger sein werden.

Nutzen Sie selbst das Internet?

Nein, das macht alles meine Frau. Sie beherrscht dieses Medium perfekt. Ich bin stehen geblieben in der Steinzeit des handgeschriebenen Wortes. Sollte eines Tages jemand behaupten, „Die verschlossene Tür“ sei nicht von mir, kann ich so leicht den Gegenbeweis antreten: alles mit der eigenen Hand geschrieben.

Sie haben kürzlich das vergangene Jahr (2002 Anm.d.Red) für das eigene Haus mit den Worten bilanziert: „Die Goldenen Jahre, in denen wir aus dem Vollen schöpfen und gleichzeitig viele neue Projekte angehen konnten, sind einstweilen vorbei.“ Künftig werde sich DuMont Schauberg wieder auf das traditionelle Printgeschäft konzentrieren. Wie verträgt sich das mit ihrer Prognose, die Zeitung der Zukunft sei auf dem Weg zu einem elitären Medium?

Elitär meint hier nicht, dass die Zeitungen ins 19. Jahrhundert mit vielleicht 40.000 Auflage zurückfallen werden. Aber die Zeitungen werden sicher, wenn das Anzeigengeschäft sich nicht erheblich belebt, teurer werden müssen. Damit ist zu befürchten, dass die Auflagen weiter schrumpfen und sich die Leute noch mehr der elektronischen Information bedienen. Mir persönlich ist allerdings eine Zeitung mit journalistischer Qualität und publizistischem Anspruch lieber als eine nichts sagende mit großer Auflage. Hinzu kommt, dass Zeitungsverlage bedingt durch das derzeit gültige Kartellrecht Wettbewerbsnachteile erleiden, die dazu führen, dass auch größere Gebiete künftig nicht mehr zwei Zeitungen haben werden. Das wird alles Hand in Hand gehen, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern.

Was macht für Sie denn die Qualität einer Zeitung aus?

Das wichtigste ist eine Verständigung mit dem Leser. Das ist die Basis einer publizistischen Aufgabe. Zusätzlich muss sie Antworten geben auf die Frage, was hinter den Geschehnissen und Entwicklungen steckt, sie muss die Zusammenhänge herstellen und erklären können. Diese Art der nachhaltigen Information, die hängen bleibt, können das Fernsehen und auch der Rundfunk nicht so gut wie die Zeitung leisten.

„Ein guter Lokalteil ist für mich die Voraussetzung für eine ordentliche Zeitung.“

Wie wichtig ist für Sie die lokale Komponente, das Herunterbrechen von Themen auf die lokale Ebene?

Die lokale Komponente ist für mich das Herzstück einer Zeitung. Denn im Lokalen leben die die Menschen, dort wollen sie sich begleitet wissen, Lebenshilfe haben. Sie wollen, dass  ihre Zeitung an ihren Sorgen und Anliegen teilnimmt. Ein guter Lokalteil ist für mich die Voraussetzung für eine ordentliche Zeitung. Ebenso wichtig ist das Herunterbrechen von überregionalen Themen, dass große Politik nicht im Abstrakten bleibt, sondern erklärt wird, wie sie sich vor Ort widerspiegelt.

Ihre Zeitung, der Kölner Stadt Anzeiger hat sich stets als regionale Zeitung mit bundesweiter Ausstrahlung verstanden, in den 90er Jahren den Anspruch als „die Stimme des Westens“ im Gegenpart zu Berlin erhoben. Sehen Sie diesen Anspruch erfüllt und immer noch gegeben?

 Seien Sie nicht böse, aber das sind Schlagworte. Ich habe mich dieser Tage mit dem neuen Ministerpräsident von NRW, Peer Steinbrück, unterhalten, welche Zeitungen er liest. Seine Antwort war: Den Kölner Stadt Anzeiger und die Rheinische Post. Auf meine Nachfrage erklärte er, gelegentlich schaue er auch noch in die WAZ und dann fand er auch noch ein Wort für den Bonner Generalanzeiger. Das ist doch eine Antwort, wenn ich sie auch so erwartet habe. Der KStA hat im Westen also eine gewisse Bedeutung. Das ist wesentlicher als wenn wir selbst uns als was auch immer bezeichnen. Ohnehin haben wir in Deutschland ja fast nur Regionalzeitungen mit Ausnahme vielleicht der FAZ. Die Welt und Süddeutsche Zeitung empfinde ich nur bedingt als überregionale Zeitungen, weil die eine eine süddeutsche ist, die andere eine norddeutsche Zeitung, da können die beiden machen was sie wollen.

Acht spontane Satzergänzungen von Alfred Neven DuMont

Mein Credo lautet ich selbst sein.

Publizistische Macht besteht …aus Verantwortung

Der Begriff 4. Gewalt gefällt mir … bedingt.

Eine eigene Meinung ist für Redaktionenessentiell.

Das Buch Citizane Kane ist…hochinteressant.

Die Rolle des Hamlets bedeutete mir …viel Spaß

Liberalität bedeutet im eigenen Haus …im Ursprung vieles, in der heutigen Umsetzung wenig.

Einen guten Verleger zeichnet aus …Engagement.

 DuMont Schauberg ist der viertgrößte Zeitungsverlag hierzulande. Warum haben Sie sich eigentlich in ihren Zeitungsaktivitäten, wenn man mal von Mitteldeutschen Zeitung absieht, „nur“ auf die Stammregion Rheinland konzentriert und sich nicht wie andere Verlage im Ausland, insbesondere Osteuropa, engagiert und bei weiteren Zeitungen im Inland?

Gute Frage. Wir haben keine ausgeprägten Ambitionen uns im Osten zu betätigen. Ich war auch nicht der Motor eines solchen Gedankens. Ich hatte immer etwas Schwierigkeiten, Ausländern eine Zeitung in ihrem eigenen Land zu präsentieren.  Das war nachträglich gesehen vielleicht falsch. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Was das Inland betrifft sind wir bei einem Problem, das uns in diesen Tagen besonders beschäftigt, dem Kartellrecht. Das macht uns Verlegern besonders Sorge. Es kann nicht angehen, dass auf der einen Seite Anzeigen und Auflagen schrumpfen und auf der anderen Seite die Zeitungshäuser durch ein schädliches, überholtes Kartellrecht  in ihrer Entwicklung behindert werden. Da muss dringend etwas geschehen.

 Ihr Haus macht ja mit dem „Kölner Modell“ gemeinsamer Verlag/ getrennte Redaktionen von Kölnischer Rundschau und Kölner Stadt-Anzeiger vor, was Holtzbrinck in Berlin gerne umsetzen würde mit Tagesspiegel und der Berliner Zeitung. Kann Köln ein Modell sein auch für andere Regionen?

Das ist natürlich übertragbar. Aber ich finde es zu kurz gesprungen dieses Modell als alleinigen Maßstab zu sehen. Im Grunde muss das Kartellrecht völlig neu gestaltet werden. Wenn ein Verlag nach geltendem Recht die magische Grenze von 500 Millionen Euro Umsatz im Jahr überschreitet, ist er faktisch handlungsunfähig im Bemühen um weiteres Wachstum oder auch nur kostensparende Kooperationen. Ein unglaublicher, diskriminierender Vorgang. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn ein Teil unseres Buchverlags Probleme hat und mit einem anderen Haus kooperieren möchte zum Beispiel über einen gemeinsamen Vertriebsweg,  ist das nicht möglich, weil er als Kind des großen Hauses keine eigenen Wege gehen darf. Es bliebe nur der Verkauf, und das ist ein bisschen wenig. Da muss dringend etwas geschehen.

 Hat denn angesichts von schrumpfenden Anzeigen und Auflagen ein Nebeneinander von zwei konkurrierenden Zeitungen wie Kölner StA und Kölnischer Rundschau noch eine tragfähige Zukunft?

 Das ist eine sehr sensible Frage, die die Wirklichkeit beantworten wird.

Wie positionieren Sie denn die beiden Zeitungen unter einem gemeinsamen Verlagsdach in einem gemeinsamen Markt?

Im Grunde ist es nicht so kompliziert: Wir werben für beide Zeitungen, als Herausgeber des KStA bin ich natürlich Partei und versuche ihn mit zu tragen und zu gestalten. Das wird Herr Heinen als Herausgeber der  Kölnischen Rundschau genauso machen. Das ist eine Edelkonkurrenz im eigenen Haus, da sehe ich durchaus positive Züge.

 …also nach dem Prinzip Konkurrenz belebt das Geschäft?

 Solange der Markt das hergibt.

„Patentrezepte gibt es im Leben nie, auch in der Liebe nicht. Außerdem sind Auflagen von einst ja nicht unbedingt allein selig machend.“

 Der Markt für Boulevardzeitungen leidet bereits drastisch unter Verlusten. Der Express hat im Vorjahrsvergleich rund 30.000 verkaufte Auflage verloren. Welche Zukunft hat das Blatt, haben Sie ein Patentrezept zur Krisenbewältigung?

Patentrezepte gibt es im Leben nie, auch in der Liebe nicht. Außerdem sind Auflagen von einst ja nicht unbedingt allein selig machend. Auch die heutige Auflage erreicht immer noch viele Menschen. Man muss die Ursachen für die Entwicklung analysieren: Die Unterhaltungsinhalte sind sehr stark ins Fernsehen abgewandert. Dadurch hat die Boulevardpresse viel an Feld verloren ohne dass sie etwas dafür kann. Sie muss heute neue Formen finden. Das ist nicht ganz leicht. Sie muss sich unersetzbar machen.

Die Bild-Zeitung versucht das, indem sie selbst Themen setzt und beispielsweise eigene Stars kreiert. Ist das der richtige Weg?

Das ist nicht der Weg, den ich für dieses Genre unbedingt langfristig sehe. Ich glaube, dass die Vertrauenswürdigkeit gerade vor Ort mindestens so wichtig und interessant ist. Wir versuchen uns so von der BILD-Zeitung abzusetzen.

Was hat Sie als Gründer des Express eigentlich am Boulevardjournalismus gereizt?

Es war ursprünglich mehr eine Verteidigung. Es ist ja oft so im Leben, dass aus Verteidigung dann ein Angriff wird. Damals gab es eine relativ harmlose Boulevardzeitung namens Der Mittag, die in Düsseldorf bei Droste herausgegeben, dann aber von Springer und der Rheinischen Post aufgekauft wurde. Die Kollegen haben dann sehr ehrlich angekündigt, damit die lokalen Anzeigenmärkte an Ruhr und Rhein erschließen zu wollen. Das habe ich morgens im Bett gelesen und bin aus dem Bett gefallen. So ist der berühmte „Bettfall“ entstanden: Innerhalb zwei, drei Wochen habe ich eine bereits existierende Wochenendausgabe des KStA zu einer Boulevardausgabe unfunktioniert. und damit dem neuen Mittag noch vor Erscheinen das Wasser abgegraben. Anschließend haben wir Bild attackiert und das Glück gehabt, dass wir sie am Rhein schlagen konnten und von Springer als Feind Nr.1 komplimentiert wurden.

Kann ein stärkeres Engagement im elektronischen Bereich zum Beispiel mit Ballungsraumfernsehen eine Kompensation für die Verluste auf dem Printmarkt sein?

Die Zeitungsverlage hatten ja gar keine Chance, ein zweites Bein auf den Boden zu stellen. Die deutsche Politik hat alles getan, um die Expansion der Zeitungshäuser auf diesem Gebiet zu verhindern. Wir konnten uns deshalb nicht früh mit dem Ballungsraumfernsehen beschäftigen, das hätte man bereits in den 60er, 70er Jahren machen müssen. Die Politik hat sich aber als Statthalter der Anstalten des öffentlichen Rechts betätigt und das böse Wort vom Doppelmonopol aufgebracht. Als wenn das des Teufels wäre.

Von anderen Verlegern hört man dieser Tage, die Zukunft der Zeitung liege in Zeitungsketten, denn nur ein vernetztes, synergetisches Arbeiten sichere die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit. Sehen Sie das auch so?

Im Prinzip ja. Man muss das natürlich von Fall zu Fall prüfen, aber es lassen sich so eine ganze Reihe von Kosten gemeinschaftlich tragen, ohne dass der Leser darunter leiden muss. Zum Beispiel ist es für einen Leser wichtig dass er gute Nachrichten aus aller Welt bekommt, aber es ist für den Leser völlig egal, ob der Korrespondent dabei exklusiv für die Zeitung arbeitet oder auch für ein halbes Dutzend anderer Zeitungen. Da ist viel zu machen.

Diese Art der redaktionellen Kooperation lässt ja das gültige Kartellrecht bereits zu. Der Axel Springer Verlag geht sogar soweit, dass er zwei eigene Zeitungen – Welt und Morgenpost – mit einer gemeinsamen Redaktion erstellt. Was halten Sie von dieser Form der Synergie?

Das ist durchaus positiv, wenn es die beiden Berliner Blätter stärkt.

Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Fusion von Berliner Zeitung und Tagesspiegel wurde ja auch Ihr Haus als Kauf-Interessent genannt. Ist das zutreffend?

Mich würde natürlich eine Berliner Zeitung interessieren, gar kein Zweifel. Wir hätten uns vielleicht etwas früher einschalten sollen. Lassen wir mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Generell gilt für unser Haus – und zwar nicht nur bezogen auf den Berliner Markt – dass wir im Inland weiter expandieren und uns entwickeln wollen.

„In einer Zeitung mit ausgeprägter Sprachkultur kann sich ein Redakteur besser weiterentwickeln als in einer anderen.“

Bei der Verleihung des diesjährigen Theodor-Wolff-Preises wünschte sich der jüngste Preisträger mehr Sprachwitz in der Zeitung. Stimmen Sie dem zu?

Die Sprache ist eine zentrale Frage. Sprachkultur, Sprachwitz um das von Ihnen zu übernehmen, ist ja nicht jedermanns Sache, sondern eine Frage der Begabung und der Schulung. In einer Zeitung mit ausgeprägter Sprachkultur kann sich ein Redakteur besser weiterentwickeln als in einer anderen. Aber ich glaube, dass sich generell zumindest bei den überregionalen und auch bei den anspruchsvollen regionalen Zeitungen die Sprachkultur durchaus entwickelt hat und damit auch der Sprachwitz.

Was sind für Sie die wichtigsten Eigenschaften einer journalistischen Führungskraft  heute?

Die Ansprüche an einen Chefredakteur sind heute sehr hoch. Früher war eine gewisse Bildung, Erfahrung, Seriosität eine Empfehlung für einen solchen Posten. Heute wird mehr verlangt: Er muss auch in der Lage sein, sich den wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Wenn z.B. die Zeitung schlanker gesetzt wird, Personal schwindet, muss er das gestalten können.

In Ihrem Haus haben Sie in der Doppelfunktion als Verleger und Herausgeber stets eine sehr enge Verbindung zur Redaktion gepflegt. Gibt es für Sie dennoch Grenzen zwischen Verlag und Redaktion, die gewahrt werden sollten?

Die gebieten sich eigentlich von alleine. Journalismus ist ein Beruf wie andere auch mit bestimmten Aufgaben. Ich hielte es für völlig falsch, wenn ein Anzeigenmensch einem Journalisten in sein Handwerk pfuschen würde. Da muss man mit einer gewissen Achtung voreinander stehen. Was nicht heißt, dass man Dinge miteinander koordinieren und absprechen kann, insbesondere von der technischen Seite her. Ich habe das aber nie als problematisch empfunden.

Das sieht man in anderen Verlagen offenbar anders. Der Axel Springer Verlag z.B. hat deshalb jüngst eine neuen Ethikcodex aufgestellt, der für eine Trennung der Redaktion von Marketing und Werbung sorgen soll. Was halten Sie davon?

Für mich ist eine Trennung selbstverständlich. Die Souveränität der Redaktion muss gewahrt bleiben.

Inwieweit halten Sie institutionalisierte Regeln für den Umgang von Verlag und Redaktion für nötig?

Sie können eine grundsätzliche Haltung wie es sie ja beim Axel Springer Verlag gibt als die 12 Gebote ehern an die Wand heften. Das ist schön. Das schadet auch nicht. Aber wie nutzbar das ist, da habe ich meine Zweifel. Ich halte mehr von einem regelmäßigen Kontakt mit den Redakteuren. Aus der Übung eines Dialogs entstehen Vertrauensperspektiven, die man als Fundament einer Verständigung fortschreiben kann. Das ist viel weniger kompliziert als es vielleicht aussehen mag, aber es setzt voraus, dass es überhaupt einen solchen Dialog gibt.

Sie werden in einer Würdigung zu Ihrem 75. Geburtstag im vergangenen Jahr mit dem Satz zitiert: „Mein größter Fehler ist mein Ego“. Stimmt dieses Zitat?

Ich kann mich ehrlich nicht daran erinnern. Im FAZ-Fragebogen habe ich mal auf die Frage ` Was ist das größte Unglück? geantwortet ´Der Mensch`. Deswegen bin ich auch oft  kritisch bedacht worden. Aber ich habe auch eine gute Nachricht: Wenn Sie älter werden, schrumpft das Ego langsam. Im Grunde finde ich es sehr schön, im Alter festzustellen: Die Message ist eine ganz andere: Weniger wäre mehr.

Viele Verlage stehen vor einem Generationswechsel,  haben ihn zum Teil schon vollzogen. Und es scheint, dass der eigentümergeführte Verlag bald der Vergangenheit angehören wird. Wird das Auswirkungen auf die publizistische Entwicklung nehmen?

Generell kann ich Ihnen nur Recht geben. Als ich mich in den späten 60er Jahren ins Präsidium des BDZV wählen ließ, bestand die Verlegerversammlung damals fast nur aus Eigentümern, heute hingegen zu 2/3 oder mehr aus so genannten Manager. Aber Manager sind auch Menschen, und es gibt darunter auch solche, die durch langjährige Verlagstätigkeit so in der Branchenwolle gefärbt sind, dass sie nicht anders agieren wie Eigentümer-Verleger. Ich würde auch nicht sagen, dass ein Unternehmerverleger mehr Einfluss nimmt als ein ursprünglich vom Management her kommender Verlagsleiter.

„Die Öffnung hin zum Fremdmanagement wird irgendwann endgültig zur Trennung von Kapital und Management führen“. Teilen Sie diese Aussage?

Das ist eine These, die sich ganz nett für Seminararbeiten empfiehlt. Das wird mal so und mal nicht so sein.

Das Zitat stammt aus dem vergangenen Jahr von Ihrem Neffen Christian DuMont Schütte über die Entwicklung von Verlagen und des eigenen Hauses. Welchen Vorteil oder Nachteil hat ein familiengeführter Verlag?

Ein managementgeführtes Haus kann gut oder schlecht geführt sein, dasselbe gilt für Erben. Ich kann Ihre Frage also nicht prinzipiell beantworten. Es kommt stets auf den Einzelfall an.

Sie haben aus Anlass des 200jährigen Jubiläums Ihres Verlags im vergangenen Jahr von der ´Gnade` gesprochen, dass Ihr Haus stets einen Erben hatte, der die Familientradition als Verleger weiterführen konnte. Inwieweit muss man sich die Gnade erarbeiten?

Die Gnade kann sich nur darauf beziehen, dass sich in der Erbfolge ein junger Mensch – es muss ja nicht unbedingt ein Mann sein – präsentiert, der das Zeug dazu hat. Wenn er sehr fleißig ist, wenn er sich engagiert, wird er eines Tages in der Lage sein, einen guten Verleger abzugeben. Ich würde generell sagen in unserer gnadenlosen Gesellschaft muss ein junger Erbe ganz gleich in welchem Industriezweig mindestens so viel leisten wie ein Fremder, sonst ist er hoffnungslos verloren. Dass ist auch gut so. Erbe zu sein allein genügt nicht. Man muss sich selbst bewähren, und das in höchstem Maße.

„Es genügt nicht, einen Beruf engagiert auszuüben, sondern man sollte  sich darüber hinaus auch in der Gesellschaft engagieren.“

Sie haben Vorlesungen an Journalistenfakultäten gehalten, nun eine eigene Journalistenschule gegründet. Was wollen Sie dem journalistischen Nachwuchs als Vision für die Zukunft mit auf den Weg geben? 

Ich wurde mal in Köln gebeten, zur Abschlussfeier von Wirtschaftswissenschaftlern eine Rede zu halten. Darin habe ich dann sehr überzeugt ausgeführt, dass es nicht genügt, einen Beruf engagiert auszuüben, sondern dass man sich darüber hinaus auch in der Gesellschaft engagieren sollte. Der ganze Vortrag war ein enormer Flop. Aber dieser Meinung bin ich immer noch.

Wie sieht Ihre Vision für das eigene Haus aus, wo wird es in zehn Jahren stehen?

Ich hoffe, dass dieser Staat so klug ist, dass Wachstum von Zeitungshäusern in keiner Weise zu beschränken und dass unser Haus sich in seiner unabhängigen Ausrichtung und wirtschaftlichen Substanz weiter positiv entwickelt.

Aus: medium magazin Nr.10/2003. Alle Rechte vorbehalten.