Der „European Newspaper Congress 2009“: Wie Zeitungen international der Krise trotzen

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Das Thema Kosten, Krise & Konsequenzen stand im Mittelpunkt des  „European Publishers‘ Forum“ am Montag, 27. April – zum Start des 10. ”European Newspaper Congress“ im historischen Wiener Rathaus ((im Bild oben: Teilnehmer beim networking). Stephan Russ-Mohl, Medienprofessor an der Universität Lugano, zeigte die Unterschiede zwischen der amerikanischen und europäischen Zeitunglandschaft auf. Jährlich zweistellige Rückgänge bei den Auflagen und Anzeigenumsätzen seien diesseits des Atlantiks noch die Ausnahme. Dennoch warnt Russ-Mohl die Verlage vor Illusionen bezüglich überholter Geschäftsmodelle.

Das Kleinanzeigengeschäft, das in seinen besten Zeiten bis zu 40 Prozent der Umsätze generierte, sei beispielsweise für Zeitungen unwiederbringlich verloren. Mit kostenfreien internationalen Web-Anzeigenplattformen wie Craigslist, das mit 25 Mitarbeitern aus San Francisco operiert, könnten Verlage nicht konkurrieren. Kleinanzeigen sind laut Russ-Mohl „auf immer und ewig im Netz verschwunden“. Viel wichtiger sei es für Verlage, ”sich jetzt nicht in eine Todesspirale hineinzusparen“. Wenn ein Viertel der Redaktion vor der Entlassung stehe, könnten die entstehenden Verteilungs- und Grabenkämpfe mehr schaden, als die Einsparungen nutzen.

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Stephan Russ-Mohl (l.) und Norbert Küpper

 

Medienberater und Ex-Holtzbrinck-Vorstand Michael Grabner sieht die Verlage sogar geradezu in der Pflicht, auch in Durststrecken in ihre eigene Zukunft zu investieren. Immerhin hätten sie jahrzehntelang „traumhafte Renditen erzielt“. An werbungtreibende Unternehmen appelliert Grabner, für Buchungen auf Onlineplattformen auf journalistischem Niveau keine Billigpreise zu verlangen. Staatliche Subventionen als Ersatz für sinkende Werbeeinnahmen sieht er skeptisch wegen der Gefahr einer politischen Einflussnahme: „Wer zahlt, schafft an.“ Zuviel vorauseilenden Gehorsam der Zeitungen gegenüber Werbekunden, die mit Anzeigenstornos drohen, kritisiert wiederum Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung. Bei mittlerweile über 50 Prozent Umsätze durch Vertriebserlöse – mit steigender Tendenz – müsse nicht auf Anzeigenkunden-, sondern auf Leserinteressen Rücksicht genommen werden.

Als ”neuen Gatekeeper im Internet“ bezeichnet Dieter Rappold, Geschäftsführer der Wiener Online-Agentur Knallgrau, die Suche bei Google und Co. „Die Suche ist die meistausgeführte Funktion im Web, sie liefert den Werbekunden massgeblich relevante Zielgruppen“, so Rappold. Wer als Online-Plattform davon profieren wolle, müsse dafür sorgen, dass die eigenen Inhalte in der Suche prominent auftauchen. Und dabei helfe nicht klagen, sondern „verlinken, verlinken und nochmals verlinken“.

Doch nicht nur den Algorithmen von Suchmaschinen mit ihrer Linkökonomie, sondern auch den veränderten Ansprüchen der Werbekunden müssten Medienplattformen gerecht werden. Unternehmen suchen laut Rappold Plattformen, die Gespräche mit Nutzern ermöglichen, doch viele Verlage würden Online noch immer als einen reinen Medienkanal betrachten, anstatt Konversationen zu ermöglichen. In der Folge bauen große Unternehmen wie BMW unter Umgehung von Medienplattformen eigene erfolgreiche Web-TV-Kanäle auf. Verlage sollten im Web „viel mehr ausprobieren und massiv in Online-Ausbildung investieren“, rät der Webexperte und nennt als erfolgreiches Beispiel die Los Angeles Times. Die US-Zeitung habe trotz großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten durch die Einbindung von Blogs ihren Internet-Traffic innerhalb von zwei Jahren um 700 Prozent gesteigert. Der Online-Bereich schreibe bei der LA Times inzwischen schwarze Zahlen.

Am Nachmittag ging es um das Design und die crossmedialen Konzepte innovativer europäischer Zeitungen. Zeitungsdesigner Norbert Küpper sieht insgesamt „einen Trend, der weggeht  vom Boulevard, hin zu Eleganz und Seriosität“. Zwar gebe es noch immer Zeitungen, bei denen „zuviel in Text gedacht werde“. Aber es gebe auch immer mehr Beispiele, bei denen Text- und Bildredakteure Hand in Hand mit Grafikern innovative und informative Seiten gestalten. Hier habe die Wirtschaftskrise etwas Positives bewirkt: Den Druck, aus dem althergebrachten Design endlich einmal auszu brechen und Neues auszuprobieren. Das merke man sogar dem Anzeigendesign an, glaubt Küpper. Neue kreative Formen wie beispielsweise eine Anzeige am Angelhaken fallen auf und lassen sich teuer verkaufen.

Den erfolgreichen Wandel der 120 Jahre schwedischen Traditionszeitung  ”Svenska Dagbladet“ stellten Ann Axelsson als Mitglied der Chefredaktion und Design-Chefin Anna Thurfjell vor. Das Blatt sei noch im Jahr 2000 eine „langweilige Bleiwüste nur für die Elite“ gewesen und verstehe sich heute als ”Einheit von Print und Online“. Tagesaktuelle Nachrichten stehen im Internet, Print sei ein tägliches Magazin geworden und die Wochenend-Beilage das Highlight.

Juan Antonio Giner, Gründer des Medienberatungs-Unternehmens „Innovation“ nannte ironisch eine Reihe von „todsicheren Tipps, um jede Zeitung zu töten“. Sehr wirkungsvoll sei beispielsweise ”Design und Leserinteressen zu vernachlässigen“, „keine Talente anzuheuern“ und „die obszönen Profite der Vergangenheit nicht zu investieren“. Bei der Schweizer Gratiszeitung „20 Minuten“ heißt das oberste Erfolgsrezept, dass Print und Online sich nicht länger gegenseitig die besten Geschichten wegschnappen, sondern sich zum Wohl beider gegenseitig die Bälle zuspielen. Diese Erkenntnisse habe allerdings eine Weile gedauert, räumten Chefredakteur Print Marco Boselli und Chefredakteur Online Hansi Voigt ein.

Mediendesigner Mario Garcia betonte vor allem die Chancen eines grundlegenden Wandels im Mediennutzungsverhalten. Print sei noch lange nicht am Ende, wenn die Macher das große Potenzial des „Storytellings“ zeitgemäß weiterentwickeln.

TAG 2: „Das European Editors forum“: Spagat zwischen Sparzwang und Qualität

Gegen staatliche Hilfe für Zeitungsverlage hat sich der Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“, Uwe Vorkötter, beim „European Editor’s Forum“ im Rahmen des „European Newspaper Congress“ am 28. April in Wien ausgesprochen. Stattdessen sieht er die Bertelsmann-Stiftung in der Pflicht, sich stärker zu engagieren in der Frage, wie Pressequalität trotz Wirtschaftskreise erhalten und gestärkt werden kann. Vorkötter plädiert für sinnvolle Kooperationen von Zeitungen zum Beispiel beim Layout und mit einem gemeinsamen Redaktionssystem, so wie es die überregionale FR im Verbund mit den Regionalzeitungen im Dumont-Verlag (u.a. Kölner Stadt-Anzeiger, Mitteldeutsche Zeitung, Express) seit rund einem Jahr vormacht. Das Profil der Zeitung leide nicht darunter, solange Leitartikel und die redaktionelle Grundausrichtung aller Titel voneinander unabhängig bleiben. Von welchem Titel die Autoren bezahlt werden, sei letztlich zweitrangig, wenn insgesamt die Qualität gestärkt werde. Manche Interviews mit Filmstars oder Sportprofis gebe es eher, wenn mehrere Titel hinter der Anfrage stünde.

Peter Stefan Herbst, Chefredakteur der „Saarbrücker Zeitung“, ist ähnlicher Meinung: „Gemeinsam können wir einen Korrespondentenpool in Berlin unterhalten, und der hat mehr Gewicht als ein einzelner Journalist.“ Zum Verlag der „Saarbrücker Zeitung“ gehört auch die „Lausitzer Rundschau“. Für bedenklich hält Herbst die schleichende Erosion des Solidarmodells dpa, zumal redaktionelle Ressourcen für Basistexte gebunden würden, wenn Journalisten angehalten sind, selbst zu schreiben, was früher die Agentur geliefert hat. Das kostet Zeit, die Herbst lieber exklusive Recherchen investiert sähe.

Den Spagat zwischen Quantität und Qualität findet Matthias Geering, Chefredakteur der Basler Zeitung besonders problematisch. Anstatt den Abo-Preis zu erhöhen oder an der Qualität zu sparen, habe man lieber den Seitenumfang reduziert. Doch eine einfache Lösung sei dieser Weg nicht, bekennt Geering. Einerseits erwarten jüngere Leser, dass die Tageszeitung nicht nacherzähle, was sie aus dem Internet längst wissen. Andererseits habe das Blatt viele ältere Leser, die von „ihrer“ Zeitung immer noch eine umfassende Rundum-Information erwarten. Eindeutiger bekennt Vorkötter die Notwendigkeit der Ausrichtung auf eine gut informierte Leserschaft: ”In der Tageszeitung steckt immer noch zuviel ‚tagesschau‘ drin.“

Christian Ortner, Chefredakteur der Voralberger Nachrichten, will die Zeitung dagegen genau umgekehrt als Überblicksmedium ausbauen. 20 Minuten Zeitung lesen liefere dem Durchschnittsnutzer viel mehr Informationen als 20 Minuten im Netz. Geering ist der Meinung, dass Verlage gerade jetzt antizyklisch in Entwicklung investieren müssen. Vorkötter schränkt ein: Die FR wolle zwar  in Autoren investieren – allerdings erst, wenn die Krise überstanden ist. Ohne die momentane Konjunkturlage hätte die FR laut ihrem Chefredakteur im diesem Jahr nach jahrelangen Sparmaßnahmen in diesem Jahr zum ersten Mal schwarze Zahlen geschrieben. Herbst betont, wie wichtig es sei, den Lesern gerade jetzt mit einer Qualitätsoffensive zu signalisieren, dass ihr Zeitungsabo unverzichtbar sei, zumal ein Abo ein Jahr im voraus bezahlt teuer sei: „Nichts spart für den Konsumenten so schnell Geld wie der Click auf die Abo-Kündigung.“ Für geradezu einen Sündenfall hält er Werbung auf der Titelseite. Denn die prominente Platzierung signalisiere: ”Das Interesse der Werbekunden ist wichtig. Die Interessen der Leser sind unwichtig.“

Am „European Newspaper Congress“ 2009 nahmen  560 Teilnehmer aus 34 Ländern teil.

Die Hauptgewinner des Design-Preises „European Newspaper Award“ wurden am Montagabend beim „Winner’s Dinner“ im Festsaal des Wieners Rathauses prämiert. Darüber hinaus wurden 108 Zeitungen aus 21 Ländern  mit „Awards of Excellence“ für hervorragendes Design in verschiedenen Einzelkategorien wie Foto, Titel, Beilagen, etc. geehrt. 

Ulrike Langer

Weiterführende Links:

siehe auch den Live-Twitterticker von mediummagazin #enc09 

www.newspaper-congress.eu

garciamedia (= Blogbeitrag von Mario Garcia)