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Medium Magazin 01/2020

EDITORIAL / Annette Milz, Chefredakteurin

 

Nach Hanau

… ist auch nach den NSU-Morden. Dennoch sagt Ferda Ataman: „Wir haben eine neue Dimension.“

„Erste Bilder nach den Shisha-Morden“ titelte Focus Online frühmorgens an jenem 20. Februar. Als wäre das, was in Hanau am Vorabend passiert ist, nicht schon schlimm genug. „So sieht eine Berichterstattung aus, die NICHTS aus dem NSU-Komplex gelernt hat“, geißelte NSU-Watch umgehend die Wortwahl, die so fatal an die „Döner-Morde“ erinnerte, wie die NSU-Verbrechen allzu lange in den Medien abgestempelt waren. Immerhin, Focus Online änderte das kurz darauf in „Bluttat“ und schrieb dazu: „Wir haben diesen Begriff inzwischen entfernt, da er unangemessen ist. Wir bitten die Verwendung des Begriffes zu entschuldigen.“

Tatsächlich reagierten die meisten Medien weitgehend besonnen in ihrer Wortwahl auf das schreckliche Verbrechen in Hanau, bei dem der Täter zehn Menschen tötete, bevor er sich selbst richtete. Erklärmodule und Hinweise „Was wir wissen und was wir nicht wissen“ sind erkennbar zum Standard für große Lagen geworden. Das ist gut so.

Doch die Bluttat von Hanau macht erschreckend klar, wie groß inzwischen das Gefahrenpotenzial ist, das in der immer weiter um sich greifenden Hetze liegt. Spätestens nach dem Mord an Walter Lübcke im vergangenen Jahr war klar: Es kann jeden treffen, der sich in der Öffentlichkeit exponiert gegen rechts. Doch die Gefahr liegt nicht nur in der physischen Gewalt:
„Das ist die neue Dimension, die wir verstehen müssen: Es geht hier um gezielte Einschüchterungsversuche. Mit Walter Lübcke wurde ein Politiker ermordet; dass Journalisten genauso gefährdet sind, liegt auf der Hand“, sagt Ferda Ataman in unserem Titelinterview. Aber auch das: „Man könnte sagen: Die Pressefreiheit kann daran gemessen werden, wie mit Freien umgegangen wird. Ohne sie funktioniert Journalismus heute nicht mehr.“
Der eigentliche Anlass für unser Gespräch waren die Ereignisse zum Jahreswechsel, als #Umweltsau und das desaströse Krisenmanagement der WDR-Spitze für wochenlange Aufregungen sorgten. Besonders erschreckend: Wie der freie WDR-Mitarbeiter Danny Hollek nach einem missglückten Tweet so massiv bedroht wurde, dass er unter Polizeischutz gestellt werden musste – nachdem sich seine Redaktion zunächst öffentlich von ihm distanziert hatte, indem sie twitterte, er sei ein freier, kein fester Mitarbeiter.
Fast zeitgleich beklagte Richard Gutjahr in einem aufsehenerregenden öffentlichen Brief den mangelnden Rückhalt der BR-Spitze für die massiven Hetzkampagnen und Drohungen, denen er und seine Familie ausgesetzt sind, seit er über die Attentate in Nizza und München berichtet hatte.
Beide Fälle sind sehr unterschiedlich (siehe auch Seite 30), doch sie eint eines: Die Art, wie Medienhäuser mit ihren Freien angesichts von Hass, Hetze und Drohungen umgehen, zeigt dringenden Handlungsbedarf.
Das fordern nun die Freischreiber mit ihrem „Manifest der Freien“ massiv ein. Sie haben zehn Punkte formuliert, in denen sie sich mit konkreten Anliegen an die Medienhäuser richten: „Trefft klare Absprachen: Wir sind nie nur ,privat‘ da. Wir stehen für eure Medienmarken in den Socials. Wir halten den Kopf hin“, heißt es da, und auch: „Bezahlt uns für die Verteidigung der Meinungsfreiheit: Die Zeit, in der wir Freien unseren Journalismus gegen die Gegner verteidigen, muss honoriert werden, auch finanziell.“ (Seite 28.)
Die Freischreiber verstehen ihr Manifest als Initiative für eine überfällige Debatte, die Freie und Feste gleichermaßen führen müssen. Nur gemeinsam kann es gelingen, was dringend geboten ist: Journalistinnen und Journalisten, die ins Visier von Radikalen geraten, besser zu schützen.
„Journalisten mit Migrationshintergrund und Rassismuserfahrung sprechen schon sehr lange von einer erhöhten Bedrohungslage – hätte man früher auf sie gehört, wären wir heute weiter“, kritisiert Ferda Ataman, die zu den Erstunterzeichnerinnen des Manifests gehört. „Nun ist die Dimension größer geworden. Heute muss man auch auf Freie hören, die stärker unter Druck stehen, weil sie nicht abgesichert sind.“ Die Mitgründerin der Neuen Deutschen Medienmacher weiß nur allzu gut, was das in der Praxis heißt.
Konkrete Vorschläge, was sich im Verhältnis von Medienhäusern und ihren Freien ändern muss, liegen nun auf dem Tisch. Qualitätsjournalismus als „Säule der Demokratie“ in Sonntagsreden zu beschwören, reicht längst nicht mehr. Ihn zu garantieren mit Solidarität und Sicherheitsmaßnahmen ist das Gebot der Stunde. Jetzt!

 
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